Cover Image

Schon wieder Derridada

16.01.2022   

In einem Bühnendialog im Hygienemuseum Dresden sprachen der Kulturhistoriker Philipp Felsch (HU Berlin) und der Kulturwissenschaftler Andreas Bernard (Leuphana Lüneburg) im September 2021 über Foucault.

Das vollständige Video (01:32:26)

Natürlich wurde viel über ›Macht‹ geredet, wobei sich Bernard einigermaßen an die Begriffsverwendung bei Foucault herantastete. Beim allfälligen Vergleich der Machtkonzepte von Marx und Foucault war allerdings wenig Verständnis zu spüren. Die 1969 und 1972 geborenen Akteure haben keine extensive Marxkenntnis, wurden dafür akademisch in den 1990er Jahren sozialisiert, in denen Foucaults (oder irgendein anderer) ›Diskurs‹ in hoher Blüte stand.

Die Veranstaltung stand unter der Prämisse, dass Foucaults Theorie im Gegensatz zu anderen französischen Poststrukturalisten (Derrida, Lacan, Baudrillard) auch heute immer noch überzeugend sei. Die Feststellung ist etwas verwunderlich, da auf dem Feld der akademischen Moden doch seit langem ein Übergang von Analysen der Gesellschaftsstrukturen, zu denen seine Diskurstheorie immerhin noch beigetragen hatte, zu Subjekttheorien wie der von Deleuze zu beobachten ist. Deleuze wird höchstens vorgeworfen, dass sein molekulares und nomadisches Subjekt zu ›weiß‹ ist und sich nicht kritisch mit seiner kolonialen Vergangenheit auseinandersetzt. Aber über die momentan laufenden Debatten über Identitäten aller Art wurde in Dresden nicht viel gesprochen.

Dafür fand dann ein Abwatschen von Derrida – »poetische Spielereien, die die Theorie verzieren« – und von Baudrillard – »so fremd wie ein Barocklyriker irgendwie« – durch Bernard statt. Felsch, der sonst zumindest immer für einen bildungsbürgerlichen Kalauer gut ist (einen alpinistischen Essay betitelte er in Anlehnung an Friedrich Kittler ›Aufsteigesysteme 1800–1900‹), pflichtete ihm ohne weiteres bei. Zumindest die direkte Auseinandersetzung von Baudrillard mit Foucault – ›Oublier Foucault‹ 1977 – oder die medientheoretisch immer noch äußerst beeindruckenden Schriften Derridas über das Archiv – hätten auf dieser Veranstaltung eine seriöse Behandlung verdient.

Die kundigste Person des Dresdner Abends war die Moderatorin (deren Namen ich nicht gefunden habe).