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Ohne Heim und ohne Fahrt

4.09.2021   

Bildbeschreibung

Wolfgang Schömels Buch, das von Klett-Cotta nicht verlegt wurde (obwohl nichts dagegen spräche, auch wenn eine Vertriebsabteilung höchstens ein finanzielles Break-even erwartet), kann bei Amazon erworben oder direkt gelesen werden. Der Roman hat zwei Erzählebenen. Recht stark ist die Kindheitsgeschichte aus den 1950er Jahren, die einen grausamen, psychisch verkapselten Vater fokussiert. Recht öde und aus trivialen Versatzstücken konstruiert ist die Gegenwartsebene. Die Hauptfigur ist ein Professor kurz vor dem Ruhestand, der über die psychischen und sozialen Folgen von Kinderlosigkeit forscht. Dass er selbst einen vierzigjährigen Sohn hat, erfährt er – tada! – gegen Ende des Buchs. Seine Beziehungen zu Frauen sind auf Sex und Narzissmus basiert und haben nie funktioniert (eine frühere Ehefrau hat partout eins seiner Bücher nicht gelesen). Rettung bringt jetzt eine brasilianische Studentin und Prostituierte, die seinetwegen von ihrem Beruf ablässt und eine Karriere als Kulturwissenschaftlerin aufnimmt. Die berufliche Sphäre des Professors ist äußerst dürftig gezeichnet: Frontalunterricht in Vorlesungen und ein universitäres Arbeitszimmer als einsame Klause. Das entspricht dem tatsächlichen Betrieb einer heutigen Universität so gar nicht, in der es Institute und permanente Kommunikation gibt (die man mögen mag oder nicht).

Durch das Buch geistern Andeutungen einer von islamischen und kulturalistischen Kräften zersetzten Bundesrepublik, in der Terrorakte und Massenselbstmorde auf der Tagesordnung stehen. In Innenräumen sind Evidenzmonitore installiert, die unter anderem nicht-einvernehmlichen Geschlechtsverkehr registrieren. An Universitäten macht sich eine Art Gender-FBI breit. Diese Seitenblicke bleiben ohne Bezug zur Story und daher belanglos. An Houellebecq mag dabei denken, wer will.

Die Erzählung lässt ihre Leser im Unklaren darüber, ob der Protagonist die Heilung seiner Alternsangst in der Transzendenz oder im Sex findet. Diese, seinen eigenen Selbstbehauptungswillen betreffende Frage verlagert er in einem Epilog auf die ganz große Bühne des »Selbstbehauptungswillens unserer Kultur«. Außer ihm selbst sind dort aber keine weiteren Protagonisten anzutreffen.

Tidbits:

[•] Das Buch sei ein Massenmedium, heißt es in Schömels Buch. Das findet in der Wissenschaft keine Unterstützung – nur Presse (seit Ende des 19. Jahrhunderts), Radio und Fernsehen sind anerkannte Massenmedien.

[•] Das Phonogeräte von Körting gab es in den 1950ern und 1960ern exklusiv bei Neckermann, nicht bei Quelle.

[Wolfgang Schömel: Heimfahrt. Amazon 2018]