Richard Hofstadter
Viele der heutigen politischen Weltbeschreibungen deutscher Politiker und Journalisten erinnern an die Weltsicht der amerikanischen Rechten, die 1963 auf beeindruckende Weise von Richard Hofstadter, The Paranoid Style in American Politics, beschrieben wurde. Auch Franz Neumann, Angst und Politik 1954 sowie Leo Löwenthal, Falsche Propheten 1949 hatten dazu schon erhellende Analysen gemacht. Es ist erstaunlich, dass sich so wenig an den Denk- und Argumentationsmodellen der US-Rechtsextremen geändert hat. Trump benutzt Textbausteine, die teilweise wortwörtlich schon in den 1950er Jahren verwendet wurden. Die genannten sozialpsychologischen Analysen legen auch Erklärungen nahe, warum das Verschwörungsdenken in den USA immer wieder mehrheitsfähig war und ist.
Warum der Begriff Paranoia?
I call it the paranoid style simply because no other word adequately evokes the qualities of heated exaggeration, suspiciousness, and conspiratorial fantasy that I have in mind (…) the idea of the paranoid style would have little contemporary relevance or historical value if it were applied only to people with profoundly disturbed minds. It is the use of paranoid modes of expression by more or less normal people that makes the phenomenon significant.
Paranoide Äußerungen und Strategien in der Politik imaginieren systematische feindselige und verschwörerische Angriffe auf die Nation, die Kultur, die Lebensweise aller Menschen. Ein Beispiel Hofstadters: Nach der Ermordung John F. Kennedys gab es eine Gesetzesintiative zur Einschränkung des Waffenverkaufs. Dagegen erhob sich aggressiver Protest. Das sei der Versuch einer subversiven Macht, die amerikanische Nation einer sozialistischen Herrschaft zu unterwerfen, Chaos zu erzeugen und ihren Feinden zur Machtergreifung zu verhelfen. Ähnliche Reaktionen gab und gibt es auf die Fluoridierung des Trinkwasser.
Hofstadter sieht solche paranoiden Tendenzen nicht nur in den USA, sondern weltweit, und verweist auch auf historische Vorbilder wie die Verfolgung von Jesuiten, Freimaurern, Juden, Monopolkapitalisten und Kommunisten. Hier wird immer unterstellt, es gebe feste Absichten (zur Welteroberung) und eine bewusste Lenkung durch eine Führungselite. Manchmal geht es auch um die Trennlinien zwischen größeren Gemeinschaften, wenn zum Beispiel Religionen mit Monopolanspruch aufeinanderstoßen. Hofstadter prägt dazu den schönen Satz:
Anti-Catholicism has always been the pornography of the Puritan.
Geschichten über die sexuelle Freizügigkeit von Priestern, Nonnen und Mönchen, über Geldgier, alles verbunden mit Heuchelei, waren schon vor Jahrhunderten in Europa und Amerika verbreitet.
Im 20. Jahrhundert kam zu diesen der Ausgrenzung und eigenen Machtdurchsetzung dienenden Legenden noch ein Aspekt hinzu. Nun hieß es und heißt es: Amerika wird durch fremde Mächte und ihre raffinierten Agenten enteignet und ausgebeutet und muss »wiedererobert« werden. Die guten amerikanischen Werte wurden zerstört – Kosmopoliten, Intellektuelle und die Presse haben einen großen Anteil daran. Dabei spielen die Medien eine doppelte Rolle: Einerseits sind sie die Schurken, andererseits Verbreiten sie die paranoide Agenda. Das amerikanische Talk Radio1, einige Fernsehkanäle und große Sektoren von Social-Media-Plattformen wirken am paranoiden Agenda Setting mit und bestärken düstere Ahnungen und Vorurteile.
Windräder funken nach China
Was hat die amerikanische Paranoia mit uns zu tun? Es ist nicht schwer, mindestens drei Schurken-Netzwerke auszumachen, die in täglich in den Äußerungen von Politikern, in Nachrichten, Kommentaren und Talks vorkommen. Rechtsextreme einschließlich der AfD, Russland (meist reduziert auf »Putin«) und China.
Ein Beispiel.
Vor der Nordseeinsel Borkum ist ein neuer Windpark geplant. Einwände dagegen kommen nicht nur von Umweltschützern, die Auswirkungen auf Seevögel und die Meeresfauna befürchten, sondern auch von Sicherheitspolitikern. Ohne IT-Expertise und ohne jeglichen Beleg behauptet beispielsweise der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter, dass die geplanten 16 Windturbinen aufgrund ihrer aus China stammenden Technik die nationale Sicherheit gefährdeten und daher nicht gebaut werden sollten.
Bericht im Manager Magazin:
Interview mit Roderich Kiesewetter im NDR 04.03.2025
https://www.ndr.de/nachrichten/info/Windpark-vor-Borkum-Sorge-um-Technik-aus-China,ndrinfo70744.html
Auch die Bundesinnenministerin Nancy Faeser rät ab: China könnte verbaute Sensorik zu Spionagezwecken nutzen und die Energieversorgung stören.
Artikel der Nordwestzeitung 03.03.2025
CDU, SPD und Grüne sind sich also einig: Die Windräder bedrohen Deutschlands Sicherheit, besser ist es, die Verwendung chinesischer Technik zu verbieten.
Ein mit der Windradtechnik vertrauter Journalist weist die schwarz-rot-grüne Geisterbeschwörung allerdings zurück:
Die grundsätzlichen Bedenken über IT-Sicherheit bei Großkomponenten sind berechtigt, wenn es um die nationale Energieversorgung geht. Der möglicherweise aus Russland gesteuerte Cyberangriff auf einen Satelliten, der zu Beginn des Ukraine-Kriegs in 2022 hierzulande 6000 Windkraftanlagen lahmlegte, funktionierte allerdings auch ohne dass kritische Komponenten „Made in Russia“ waren. Und keine Turbine in der Nordsee bekommt eine direkte Standleitung nach China, egal wer der Hersteller ist. Dieses bequem vereinfachte Narrativ sollte mit Ende des Bundestagswahlkampfes einer ehrlichen Diskussion über die Energiewende weichen. Nachhaltige Stärkung der heimischen Industrie braucht jedenfalls mehr Substanz als das hastige Verbot eines Windparks, der am Ende ein Prozent vom Ausbauziel der nächsten fünf Jahre ausmacht.
Nach der aus den USA importierten Idee, Mobilfunk-Technik von Huawei zu verbieten, die in 5G-Netzwerken installiert werden könnte, und der Kritik an der Beteiligung eines chinesischen Unternehmens an einem Terminal im Hamburger Hafen ist die Turbinen-Affäre nun schon das dritte Beispiel für eine unbelegte Meldung einer Bedrohungslage durch die weltumspannende chinesische Staatsverschwörung bzw. durch die Kommunistische Partei, wie einige Sprecher präzisieren (es könnte ja Rezipienten geben, denen »Kommunismus« noch etwas sagt).
Demnächst
Auf die Erscheinungsformen der speziellen medienpolitischen Paranoia komme ich in späteren Beiträgen in dieser Serie zurück.
Douglas Hofstadter: The Paranoid Style in American Politics and Other Essays. Cambridge: Harvard University Press, 1996.