Sigmund Rosenblum
Geboren 1874 in Odessa, wusste Georgi Rosenblum lange nicht, wer sein Vater war, und auch nicht, dass er eigentlich den Vornamen Sigmund erhalten hatte. Auch die Tatsache, dass sein Vater jüdische Wurzeln hatte, machte ihm angeblich zu schaffen. Seine Biographie Ace of Spies schrieb Robin Bruce Lockhart (1920–2008). Dieser konnte sich dabei auf die Erinnerungen und Berichte seines Vaters Robert Hamilton Bruce Lockhart (1887–1970) stützen. In einer schon 1932 erschienenen Autobiographie Memoirs of a British Agent hatte der ältere Lockhart bereits Details aus der Zusammenarbeit mit Rosenblum kurz nach der Oktoberrevolution erzählt. Er kannte ihn allerdings unter seinem nom de guerre Sidney Reilly.
Beide, Lockhart und Reilly, waren große Womanizer. Lockhart gefährdete seine Karriere als britischer Agent mehrfach durch seine Affären. Die spektakulärste war wohl die mit Moura von Benckendorff , die neben einigen Ehen auch Beziehungen mit dem durch die Oktoberrevolution 1917 gestürzten kurzfristigen russischen Ministerpräsidenten Kerenski und den Schriftstellern Maxim Gorki und H. G. Wells hatte. Mit Lockhart war sie liiert, als dieser angeblich zusammen mit Reilly 1918 einen konterrevolutionären Putsch plante (Lockhart Plot). Das von der Anarchistin Fani Kaplan am 30.08.1918 auf Lenin verübte Attentat, an dessen Folgen er 1924 starb, gehörte nicht zu ihrem Plan. Lockhart wurde für eine kurze Zeit von der Tscheka in Haft genommen und verhört, sah dort auch Fani Kaplan, die bald darauf erschossen wurde. Seine Geliebte Moura wurde länger festgehalten, ihre vielfältigen Verbindungen zu den Geheimdiensten lassen sich bei einer kurzen Recherche nicht aufklären.
Sidney Reilly hatte bereits mit Anfang Zwanzig die Welt erkundet, wobei – je nach Quelle – auch kriminelle Abenteuer eingeschlossen waren. Im Jahr 1895 lernte er in London Ethel Lilian Boole (1864–1960) kennen, die jüngste Tochter von George und Mary Boole. Sie lebte mit Michał Habdank-Wojnicz zusammen, einem polnischen sozialistischen Revolutionär und Buchhändler, der seinen Namen dann zu Wilfrid Michael Voynich anglisierte. Er war mit vielen Sozialisten bekannt, unter anderem mit Friedrich Engels und der Marx-Tochter Eleanor. Ethel und er heirateten erst 1902 offiziell. Sie benutzte den Namen Voynich allerdings schon früher, auch als Autorennamen für ihren Roman The Gadfly, der 1897 erschien. Der Name Voynich wird in westlichen Ländern vor allem mit dem seltsamen Manuskript verbunden, das Winfrid Voynich 1912 erwarb und bis heute nicht entschlüsselt wurde – falls es denn überhaupt sinnvolle Informationen enthält und nicht nur ein monströser und aufwendiger Scherz ist.
In Russland, dann in der Sowjetunion und später in der Volksrepublik China ist der Name jedoch mit Ethel Booles Roman verbunden. Es wurde in diesen Ländern ein Best- und Longseller. Dmitri Schostakowitsch schrieb 1955 die Filmmusik zu der sowjetischen Verfilmung des Stoffes.
Der Plot in einem Satz: Arthur Burton, ein englischer Journalist, gerät in den 1840er Jahren in die Wirren des italienischen Risorgimento und unterstützt mit seinen Texten die radikale Unabhängigkeitsbewegung, wird schließlich verhaftet und hingerichtet. Die Autorin hatte den Roman schon begonnen, als sie Sidney Reilly in London kennenlernte und mit ihm eine heftige Liebesaffäre einging, die sie auch auf eine gemeinsame Italienreise führte – nach Florenz, einen wichtigen Schauplatz von The Gadfly. Dass auch Erlebnisse des Abenteurers Reilly in das Buch eingegangen sind, lässt sich nicht ausschließen, gehört aber der Intimsphäre der beiden Verliebten an, die sich nach einigen Monaten wieder trennten.