Die FAZ bringt einen Text von drei Mitarbeitern der im Juni veröffentlichen Stellungnahme einer interdisziplinären Leopoldina-Arbeitsgruppe »Digitalisierung und Demokratie«. Ein Informatiker, ein Medienwissenschaftler und eine Ethikerin formulieren drei »Thesen« genannte Forderungen, wie mit der Entwicklung globaler Online-Plattformen umgegangen werden sollte.
Auffällig dabei ist das häufig verwendete »Wir«. Hierbei handelt es sich nicht um die Autoren der Stellungnahme, sondern um die virtuellen Regulatoren einer »plattformisierten« Medienlandschaft, deren Weiterentwicklung nicht dem Markt überlassen werden soll. Kennzeichnend für die Studie und auch den FAZ-Beitrag ist zudem, dass die algorithmische Angebotslogik der Plattformen als »Kuratierung« bezeichnet wird, womit den Plattformbetreibern eine Art redaktioneller Eigenleistung zugesprochen wird und nicht nur eine technische Dienstleistung. In den USA gibt es seit Jahren, auch wieder angefacht durch Trump, die Diskussion über Section 230, eine Bestimmung des Telekommunikationsgesetzes, das den Plattformen bislang Immunität in Bezug auf rechtsverletzende Inhalte gewährt, die auf ihnen veröffentlicht werden. Ein Protecting Americans from Dangerous Algorithms Act soll diese Bestimmung ergänzen und die algorithmische Verstärkung aufhetzender und radikalisierender Inhalte unter Strafe stellen.
Die deutsche Medienregulierung hat hierfür noch keine expliziten Bestimmungen. Der Medienstaatsvertrag verpflichtet »Medienintermediäre« zur Transparenz im Hinblick auf inhaltliche Auswahlentscheidungen. Bei Urheberrechtsverletzungen auf Plattformen müssen die Betreiber illegales Handeln ihrer Nutzer unterbinden, sind jedoch nicht selbst verantwortlich haftbar für Rechtswidrigkeiten. Die medienwissenschaftlich äußerst fragliche und unzureichend belegte demokratiegefährdende Verstärkung von »Hetzreden« durch Algorithmen von Social Network Sites sowie die aus kommerziellen Gründen eingeschränkte Vielfalt von Informationsquellen (bzw. erwünschten Inhalten), mit denen ihre Nutzer in Kontakt gelangen können, wird seit einigen Jahren von regulierungswütigen Juristen (z. B. Dörr und Schwartmann) angeführt, um ein neues Regulierungsfeld für die Landesmedienanstalten oder weitere Instanzen zu öffnen.
Die Autoren fordern nichts weniger als die Mitgestaltung der Geschäftsmodelle von Plattformanbietern »auf demokratischer Basis«. Warum Youtube und Instagram nicht gleich verstaatlichen? Ferner sollen neue Formen des Journalismus gefördert werden – von wem und wie?
»Drittens sollten wir anders als bisher über Fragen der Medienkompetenz nachdenken.« Das ist ebenso wie die beiden vorherigen Punkte keine These. Und alles ist schief an diesem Satz. Wie denken »wir« denn jetzt über Fragen der Medienkompetenz nach? Wer sind »wir« eigentlich (siehe die Vermutung oben: der virtuelle Gesamtregulator)? Wie soll dieses »anders« aussehen? Digitale Medien sind nicht mehr nur »Mittel der Information und Kommunikation« – warum wird nicht auch die überwiegende Nutzungsform erwähnt, nämlich Unterhaltung? –, sondern sammeln nun auch Daten. »Ein breiteres Verständnis von digitaler Medienkompetenz umfasst also nicht nur Kompetenzen im Umgang mit Medien, sondern auch Kenntnisse über ihre algorithmischen Funktionsweisen sowie die zugrunde liegenden Geschäftsmodelle. Es ist entscheidend, solche Kompetenzen alters- und kontextgerecht von der Kita an über Schule und Studium, in Aus- und Weiterbildung zu vermitteln.« Auf Kitas kommt also wohl die Anforderung zu, neben dem Chinesischunterricht für Vierjährige nun auch noch das Curriculum in SEO zu bewältigen.
Das Fazit des Beitrags setzt sich kühn über die schlechte digitale Wirklichkeit hinweg und fordert einfach eine andere. Der Plan besteht darin, eine alternative Medienwelt unmittelbar aus dem regulatorischen Normenhimmel abzuleiten: »Wir müssen unser Mediensystem vor dem Hintergrund einer durchdringenden Digitalisierung neu erfinden. Und neu erfinden heißt erst einmal, offen an die Frage heranzugehen, wie ein Mediensystem in einer demokratischen, digitalen Gesellschaft aussehen sollte, um dann im zweiten Schritt die Frage zu stellen, wie man dahin gelangen kann.«