Der Krieg/Bürgerkrieg erzeugt bei den handelnden Personen durch das Näherrücken konkreter Kampfhandlungen zwar Aufregung, wird jedoch letztlich gelassen als Gegebenheit akzeptiert. Die Position der Erzählfiguren zu den in der Stadt handelnden Parteien ist eindeutiger als die Positionierung der realen Truppen:
»– Alles Schweinehunde. Der Hetman wie Petljura. Nur dass Petljura außerdem noch ein Freund von Pogromen ist. Aber das ist nicht die Hauptsache. Die Hauptsache ist, mir ist langweilig, ich habe schon zu lange keine Bombe mehr geworfen.«
Bulgakow schreibt – und Alexander Nitzberg übersetzt – lautmalerisch und elliptisch, montiert Dialogfetzen mit Bildfragmenten und inneren Monologen. Sein Roman, der 1924 erschien, bricht ganz und gar mit den Erzähltraditionen des 19. Jahrhunderts, Bulgakow ist gewissermaßen ein Anti-Tolstoi. Er konstruiert kein Gesellschaftspanorama, arbeitet auch nicht an der Festigung des Selbstbildes einer der gesellschaftlichen Gruppen. Über die Ukrainizität mancher Stadtbewohner macht er allerdings kritische Bemerkungen. Der Grobianismus, die Rudelhaftigkeit von Versammlungen, die Kriminalität und der radikale Hass auf alles Nicht-Ukrainische tauchen an manchen Stellen als Muster auf. Aus diesem Grund ist das Buch in der Ukraine seit 1991 auch nicht beliebt.
Ich habe ein Viertel des Buchs zunächst in der früheren Übersetzung von Larissa Robiné gelesen und fand dort, dass zwar die schnellen Sprünge der Montage vorhanden waren, auf der Mikro-Ebene des Textes jedoch, in den einzelnen Sätzen und auch in der Wortwahl eine gewisse Behäbigkeit vorherrscht. Das ist bei Alexander Nitzberg ganz anders. Gerade weil das Buch bei ihm auf allen Ebenen verstörend wirkt, ist diese deutsche Fassung diejenige, die das Buch auch für heutige deutsche Leser zum Ereignis machen kann.
Michail Bulgakow: Die weiße Garde.
- Übersetzung von Larissa Robiné und Thomas Reschke. Berlin: Volk und Welt, 1992
- Übersetzung von Alexander Nitzberg. Berlin: Galiani, 2018