Geliebte Erinnerung

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Rao Pingru, 1922–2020, stammte aus einer Intellektuellenfamilie in Zentralchina. Nach dem Schulbesuch trat er in die Kuomintang-Armee ein und kämpfte gegen die japanischen Besatzer. An Bürgerkriegshandlungen zwischen 1945 und 1949 nahm er nicht mehr teil.

Nach seiner Heirat mit Meitang 1948 (sie starb 2008) – eine seit langem von den Elternpaaren arrangierte Ehe – lebten beide zunächst an verschiedenen Orten in Hotels oder bei Verwandten, bis Pingru in den 1950er Jahren über seinen »Dreizehnten Onkel« einen Job in Shanghai vermittelt bekam: Buchhalter eines Krankenhauses und gleichzeitig Lektor in einem medizinischen Fachverlag. Beides – die Lebensweise und die nach wie vor funktionierenden Verwandtschaftsverhältnisse – erstaunt, weil es nicht dem Bild entspricht, das ich von der durch die Kommunistische Partei zunehmend formierte Gesellschaft hatte. Schon einige Jahre später allerdings schlug die Partei zu und erschütterte das Familienleben Pingrus: 1958 bis 1979 musste er fern von der Familie in einem Umerziehungslager arbeiten. Der Grund war hauptsächlich seine Position als Kompaniechef in der Kuomintang-Armee. Kurze Besuche in Shanghai waren ihm erlaubt, ansonsten waren Meitang und er auf Briefe (und Telegramme) angewiesen, in denen es oft um Geld und Nahrungsmittel ging.

Briefe von Pingru an Meitang füllen den letzten – unbebilderten – Teil des Buchs.

Das Buch enthält hunderte Tuschezeichnungen des Autors, der erst im hohen Alter, mit 87 Jahren, zu malen begann. Die Illustrationen sind ganz nah an den Text angelehnt, in vielen Passagen ähnelt die Darstellung einer Graphic Novel. Aber der Text ist kein Roman, nicht fiktional, sondern eine Autobiographie, dem Vermächtnis von Meitang gewidmet. Der Duktus der Bilder ist nur scheinbar naiv, einige Rezensenten bemerken eine Anlehnung an die Darstellungsweise von Jean-Jacques Sempé.

Die politischen und gesellschaftlichen Verschiebungen zwischen 1922 und 2013 (da erschien das Buch in China) spielen nur eine äußerst marginale Rolle im Buch. Ich habe den Namen Mao Zedong nicht darin gesehen, nur einmal den von Deng Xiaoping. Pingru erzählt fast ausschließlich vom persönlichen Leben, von der Familie – und vom Essen.

Rao Pingru: Unsere Geschichte. Berlin: Matthes & Seitz Berlin, 2023.