Alte Oberflächlichkeit

Nun ist Peter Schneider schon 85. Sein literarisches Debut, Lenz, stieß 1973 die Welle der »Neuen Innerlichkeit« an. Die war bei etlichen Autorinnen und Autoren und ganz besonders bei Schneider allerdings eine neue Oberflächlichkeit. Die Aneinanderreihung beliebiger subjektiver Eindrücke, das Fehlen einer Plotline und das Einstreuen schlüsselromanesker Elemente unterstützte Leserinnen und Leser bei der eigenen Nabelschau, die in den siebziger Jahren die von den Melancholikern der RAF erzeugte Gänsehaut ergänzte. Helmut Böttiger nannte Peter Schneiders Erzählung höflich »Das Manifest der plötzlichen Verunsicherung«, das eine Leerstelle gefüllt habe, die von der Studentenbewegung und außerparlamentarischen Opposition der vorangegangenen Jahre nicht bearbeitet worden war. Aber wie Schneider Lenz erzählte, hat(te) für mich nichts Überraschendes. Die von ihm skizzierte melancholische Ödnis langweilte mich nur.

Auch der neue Roman Schneiders ist voller Schlüsselmomente und -personen, die sich im Westberlin der Jahre 1965 bis 1968 entdecken lassen. Noch einmal gibt es Anspielungen auf Figuren der RAF (Herzog, Meinhof) und schon in mindestens drei früheren Büchern sattsam ausgebreitete autobiographische Elemente. Ich habe Die Frau an der Bushaltestelle gelesen, weil ich von einem über Achtzigjährigen ein neues Niveau der Reflexion erhoffte. Und sehe mich enttäuscht. Der Text schildert eine Drei-Personen-Beziehung und plaudert sie in 53 kurzen Episoden linear durch die Jahre. Die Lektüre stellt keinerlei Ansprüche und lässt sich schnell erledigen – zumal der Verlag jedes Kapitelchen auf einer rechten Seite beginnen lässt, wodurch viele Leerseiten erzeugt wurden (und viele Verlage klagen über Papiermangel?).

Neben dem Kiosk an der Ecke gibt es einen wettergeschützten Bücherschrank, der hoffentlich noch Platz für das Buch hat.


Peter Schneider: Die Frau an der Bushaltestelle. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2025.

Helmut Böttiger: Die Jahre der wahren Empfindung. Die 70er – eine wilde Blütezeit der deutschen Literatur. Göttingen: Wallstein, 2021.