Historische Medienparadoxe

Dirk Rose schreibt eine Mediengeschichte als Geschichte der Medienkritik. Von Platon bis zum Smartphone geht es um die Kritik an einzelnen Medien und ihren Inhalten, die Kritik an Medienentwicklungen bzw. Medienwandelsprozessen und um die Kritik an der Gesellschaft, die sich der jeweiligen Medien bedient.

Die Umkehrung ist eingeschlossen: die Auswirkungen der Medienkritik auf die kulturelle Meinungsbildung und Geschmacksbildung.

Rose gibt einen wichtigen Hinweis, der in vielen oberflächlichen Mediengeschichten fehlt: Platons Kritik an der Schrift – genauer: an der Auslagerung von Gedächtnisinhalten in schriftliche Aufzeichnungen (im Dialog Phaidros) – gilt keiner neuen Erfindung, sondern einer schon seit Jahrhunderten etablierten Schriftkultur.

Interessant ist auch, dass sich die Kernaussage von McLuhans »The Medium is the Message« bei etlichen Autoren in anderer Formulierung oder zumindest implizit wiederfinden lässt. Luhmanns Unterscheidung von Information und Mitteilung und die Feuilleton-Kritik von Karl Kraus weisen in die gleiche Richtung. Einzelnen Autoren sind gesonderte Abschnitte gewidmet – unter anderen Jean-Jacques Rousseau, Johann Gottfried Herder und Gustav Freytag, Karl Kraus sowie später noch Theodor W. Adorno und Nicolas Born. Dabei geht es weniger um die Autoren selbst als um die Medienverhältnisse, die ihnen aus unterschiedlichen Gründen Sorgen machen. Alles vollzieht sich allerdings seit Platon auf paradoxe Weise: Die Kritik an den jeweils aktuellen Medien wird in den jeweils aktuellen Medien selbst verbreitet.

Der selbstaufklärerische, reflexive Charakter, den Medienkritik (manchmal) annimmt, bildet eine Art Leitfaden des Buchs. Ihm zu folgen, lohnt sich unbedingt, auch die Anfertigung einer »Kopie« dieses Leitfadens beispielsweise für die Untersuchung einer Geschichte der Literaturkritik. Hilfreich dabei ist unter anderem die Beobachtung der Rezipientenseite – die bei der Medienkritik oft im Vordergrund steht, bei der Literatur- oder Kunstkritik hingegen oft völlig unterschlagen wird. Als ob es sich hier nicht auch lohnen würde, Wirkungsaspekte des Literaturkonsums, das Nutzungsverhalten und das Literatursystem (als System von Produktion, Vermittlung und Rezeption) als Ganzes zu untersuchen. Empirische Befunde dazu, wer etwas liest und (nach eigenen Aussagen) warum, geben letztlich nur dürftige Auskünfte über die Relevanz von Literatur für das Leben der Einzelnen und die Gesellschaft.

Zurück zur Medienkritik: Rose weist auf die Problematik normativer Sichtweisen hin – bei der »Produktkritik«, beim Nutzungsverhalten und bei der »Totale«, die Beziehungen von Medien und Gesellschaft zu erfassen versucht. Abgesehen von gesetzlichen Schranken (die in concreto allerdings auch nicht gerade selbsterklärend sind) fehlt oft die Begründung von Normen und werden dumpfe Empfindungen von Gefahren und Bedrohungen als Legitimation angeführt.

Das Buch hätte eine weniger laute Aufmachung verdient. Es ist trotz seines Umfangs von 200 Seiten eine differenzierte Darstellung vieler Aspekte der historischen Medienkritik, die vor allem denjenigen zu empfehlen wäre, die aufgrund der eigenen geringen Medienkompetenz anderen die Mediennutzung erschweren, wenn nicht gar verbieten wollen. 


Dirk Rose: Medienkritik. Theorie und Geschichte. Göttingen: Wallstein, 2025.