
Hartmut Geerken: Kant. Spenge: Klaus Ramm, 1998.

Hartmut Geerken: Kant. Spenge: Klaus Ramm, 1998.

Die in der FAZ zitierten Sätze des neuen ARD-Vorsitzenden Kai Gniffke – aus einem Interview mit der dpa – lassen nicht erwarten, dass die ARD einen Beitrag zur fälligen Transformation der öffentlich-rechtlichen Rundfunkapparate in ein online-taugliches Plattformangebot leisten wird.
Wenn wir sehen, was im Moment an Hass und Hetze grassiert, wie viel Desinformation es gibt, stellen wir doch fest: Es hagelt ganz schön rein ins Dach der Demokratie … Und wir möchten dazu beitragen, dieses Dach wieder abzudichten. Und wir möchten diejenigen sein, die helfen, Wirklichkeit und Fälschung auseinanderzuhalten … Unabhängiger Journalismus ist im Moment auf dem Rückzug, und deshalb wäre der Schritt, jetzt unsere Vielfalt in Deutschland weiter einzuschränken, aus meiner Sicht falsch.
Es ist seit Jahren dasselbe Mantra, das die Vertreter der Anstalten, ihrer Gremien und auch diverse Unterstützer herunterbeten: Die Demokratie ist in Gefahr, deshalb brauchen wir die unabhängigen öffentlich-rechtlichen Medien – und wenn es sie nicht schon gäbe, müsste man sie gerade jetzt erfinden.
»Unsere Vielfalt«, das ist auch die fortgesetzte Koexistenz der Fernsehsysteme von ARD und ZDF, koste es, was es wolle. Damit werden auch weiterhin die Mittel gebunden, die für eine konsequente Transformation der Apparate in Online-Medien notwendig wären. Konsequent sein bedeutet zum Beispiel, dass nur eine einzige öffentlich-rechtliche Mediathek sinnvoll ist. Konsequent wäre, dass Inhalte und Formate für alle Beitragszahler entwickelt werden und die Priorisierung der älteren, nur fernsehenden Generationen beendet wird. Dazu gehört, dass auch ausländische Mitbürger und Menschen migrantischer Herkunft angesprochen werden – es handelt sich hier um etwa 25 Prozent der Bevölkerung. Sie bilden einen weitestgehend ignorierten Teil der nach dem Verfassungsauftrag zu adressierenden Allgemeinheit. Konsequent wäre, die mehrfach von Verfassungsrichtern als Systemmerkmal formulierte Ausrichtung der Programmangebote nach anderen als nach Marktkriterien umzusetzen. Und schließlich wäre es konsequent, die Mechanismen der Meinungsbildung in Onlinemedien endlich zu akzeptieren und die Mediatheken konsequent für Nutzerdialoge zu öffnen – auch wenn das viel Geld und Personaleinsatz erfordert.
Die öffentlich-rechtliche Abwehr von Hass und Hetze, von der Gniffke spricht, wo findet sie denn statt? Bei Rote Rosen oder im Tatort? Bei Bares für Rares oder in der Küchenschlacht? Gniffke erwähnt die in einigen Ländern vollzogenen oder drohenden Veränderungen der Finanzierung öffentlich-rechtlicher Medien. In Großbritannien, Frankreich und Dänemark brechen nach seiner Logik also die Dämme gegenüber medieninduzierten Hass- und Hetzkampagnen.
Das Bedrohungsnarrativ ist und bleibt ein billiges und in sich brüchiges PR-Argument. Gniffke sollte seine Aufgabe als ARD-Vorsitzender wahrnehmen und für ein konsequentes Umsteuern des Systems eintreten.
Die erweiterte Primetime zwischen 20:15 und 00:00 Uhr umfasst 225 Minuten, in einer Woche kommen also 1575 Minuten zusammen.
Wieviel um Morde zentrierte Krimiproduktionen werden von der ARD (Das Erste) und vom ZDF gesendet?
Woche Mo 22.08. bis So 28.08.2022
1130 Minuten Sendezeit, in denen den öffentlich-rechtlichen Anstalten nichts Besseres einfällt als das Publikum mit Mordtaten unterhalten zu wollen.
Beide decken jeweils ein Drittel der Primetime mit Mord & Totschlag ein.
… zum Feueranzünden.
Manifeste kombinieren häufig ein Maximum an Pathos mit einem Minimum an Empirie und Strategie. Sie appellieren an Wertvorstellungen, die von vielen geteilt werden und geben ihren Unterzeichnern das gute Gefühl, für eine richtige Sache einzutreten. So verhält es sich auch hier, beim The Public Service Media and Public Service Internet Manifesto aus dem Umfeld der »Public-Value«-Abteilung des öffentlich-rechtlichen ORF. Es geht um die Idee, dass aus gemeinschaftsdienlichen Rundfunkanstalten nun ebensolche Online-Plattformen werden sollen: »We strive for a revitalisation and renewal of Public Service Media in the digital age.« Wie dieses – verständliche und unterstützenswerte – Ziel angegangen werden soll, wird allerdings nicht gesagt. Stattdessen werden wir Leser mit einer Suada schönster Prinzipienerklärungen überschüttet.
Das Manifest malt die aktuelle Medienwelt in den düstersten Farben:
The Internet and the media landscape are broken. The dominant commercial Internet platforms endanger democracy. They have created a communications landscape dominated by surveillance, advertising, fake news, hate speech, conspiracy theories, and algorithmic allocation of users to commercial and political content tailored to their expressed tastes and opinions. As currently organised, the Internet separates and divides instead of creating common spaces for negotiating difference and disagreement. Commercial Internet platforms have harmed citizens, users, everyday life, and society. Despite all the great opportunities the Internet has offered to society and individuals, the digital giants led by Apple, Alphabet/Google, Microsoft, Amazon, Alibaba, Facebook, and Tencent have acquired unparalleled economic, political and cultural power.
Fürchterlicher geht es kaum. Belege für die Gefährdung der Demokratie, für die Spaltung der Gesellschaft durch das Internet, für die Beschädigung der Bürger und des Alltagslebens fehlen allerdings. Dafür stehen die Lichtbringer bereits fest: die öffentlich-rechtlichen Medien, die sich nur noch auf eine mit keinem Wort erwähnte Weise erneuern müssen.
Eine Strategie zur Veränderung des Bestehenden sollte mit dessen Kritik beginnen. Die selbstkritische Analyse der eigenen Position, der eigenen ergriffenen und verpassten Möglichkeiten und des eigenen Unvermögens gehört dazu. Warum haben sich die Public Service Media (aka Öffentlich-rechtlicher Rundfunk) bislang von der Entwicklung der digitalen Medienwelt weitgehend abgekoppelt oder abkoppeln lassen? An welchen Punkten müssen sie zunächst sich selbst verändern, um den angestrebten Beitrag zur Verbesserung und Verschönerung der digitalen Medienwelt – und der immer wieder angerufenen Demokratie – leisten zu können?
Die Überschrift spielt auf ein Gedicht Hans Magnus Enzensbergers an.
Das ist wirklich seltsam. Der erste Krieg ohne Kriegsberichte. Nur PR und Betroffenheitsblitze, die keinen Überblick ermöglichen. Der ukrainische Oberbefehlshaber und Präsident hat nicht ein einziges Mal die Lage dargestellt, er beschränkt sich in seinen Videos auf herausgepickte Details über militärische Erfolge und pathetische Appelle an den Westen. Es versucht offenbar auch niemand, auf der ukrainischen oder russischen Seite als embedded journalist tätig zu werden (wie zweifelhaft das als journalistische Praxis auch immer wäre). Das war in Vietnam auf beiden Seiten und im Irak zumindest auf amerikanischer noch gängig. Überhaupt tauchen die ukrainischen Streitkräfte, mindestens 250.000 Soldaten (darunter 25.000 Ausländer), dazu Paramilitärs und Amateure, in Berichten nicht auf.
Das offenkundige Maximum an journalistischer Sach- und Fachinformation bei Öffentlich-Rechtlichen ist dieser Podcast:
Experte ist dieser:
https://www.ndr.de/nachrichten/info/wir_ueber_uns/Andreas-Flocken,flocken107.html
Talkshows diskutieren in Nebelregionen. Toll gestern Markus Lanz, der aus seinen Gästen eine Zustimmung zum polnischen MIG-Angebot herauskitzelte und die möglichen Folgen kleinreden ließ, und noch während der Laufzeit der Sendung (aber ein paar Stunden nach ihrer Aufnahme) kam das Dementi der USA mit dem berechtigten Hinweis auf die unabsehbaren geopolitischen (also militärischen) Folgen.
Nur weil man von überall mit kleinem Equipment in Echtzeit berichten kann – solange die Netze nicht nachhaltig gestört werden –, tut man es. Sogenannte „Einordnung“ findet nicht statt, höchstens eine in den bei uns geltenden Moral-Kodex, wenn es um Opfer geht. – Abgesehen davon wird „Einordnung“ und Kommentierung immer weniger getrennt.
Rundfunkgremien? Programmbeobachtung und -diskussion?