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Keine Kunst?

29.06.2024   

Prompt: Bunker mit Öffnung in die Natur, Ottos Mops, Caspar David Friedrichs Wanderer, Bremer Dom. Bildgenerator: Canva.

Von Friedrich hat Canva offenbar die Rückenansicht des erbärmlichen Mopses und die ans 19. Jahrhundert erinnernde (leere) Landschaft übernommen. Den Bremer Dom bildet bislang keine KI einigermaßen ordentlich ab.

Aber darum geht es mir gar nicht. Mir geht es um den Kunstcharakter des Bildes, und das unter verschiedenen Aspekten.

Darf ich und sollte ich unter Berufung auf Josef Beuys und seinen erweiterten Kunstbegriff dieses Bild als Kunst und mich selbst als Künstler ausgeben? Ich kann ja eine Signatur hineinkopieren, einen hochwertigen Ausdruck machen lassen und den Kunstmarkt damit bereichern.

Allerdings ist Canva, soweit mir bekannt, keine Open Source Software. Sie hat demnach möglicherweise ein Urheberrecht an diesem Bild. Andererseits stellt sich die Frage, ob algorithmisch generierte Bilder überhaupt unter das Urheberrecht fallen. Ihnen fehlt nach Expertenmeinung die vom Urheberrecht geforderte »Schöpfungshöhe«. Sie wären damit Kunsthandwerk und nicht schützbar. Eine zu geringe Schöpfungshöhe haben Urheberrechtler zum Ärger von Typographen beispielsweise auch digitalen Schriftarten zuerkannt (allerdings gibt es hier Fragen, die weiterhin umstritten sind).

Auf welche Weise erzeugt die KI, der »Kreativität« also weitestgehend abgesprochen wird, ein Bild? Sie verarbeitet (in diesem Fall) sprachliche Inputs und dreht sie durch einen algorithmischen Wolf, der von Wort-Assoziationen ausgeht und nach nicht nachvollziehbaren, aber manchmal doch leicht erkennbaren Schemata diesen Assoziationen Bildelemente zuordnet. In diesem Fall ist der höhlenartige Bunker ein solches Schema. KI-Generatoren erzeugen fast jedes Mal ähnliche Bunker. Manchmal finden sich Graffiti-ähnliche Gebilde an den Bunkerwänden, oft – wie hier – keimt neues Leben im Schutt. Es ist eine assoziative Kombinatorik am Werke, die vom Vorgang her durchaus mit Spielarten der künstlerischen Produktion vergleichbar ist. Künstler werden manchmal immer noch als schöpferische Genies gesehen, obwohl sie sich mehr oder weniger systematisch an begrenztem, vorgegebenen oder selbst ausgewähltem Material abarbeiten. Die Originalität von Kunstwerken beweist sich im Falle der Kombinatorik gerade innerhalb erkennbarer Grenzen. Wer will heute noch Collagen oder Ready-mades den Kunstcharakter absprechen? Es kann daher keine klare Grenzlinie zu einer algorithmisch generierten Kunstproduktion gezogen werden, nur weil diese mit kombinatorischen Mitteln und begrenztem Quellmaterial arbeitet.

Die freie Autorschaft ist für Ästhetiker in der Nachfolge Kants eine Vorbedingung von Kunst. Kunst wird in dieser Tradition durch Freiheit hervorgebracht. Beuys konstruiert eine klare Linie: »Kunst = Mensch = Kreativität = Freiheit«. Kunstschaffende sind demnach in ihrer im Kunstwerk sich manifestierenden Autorschaft stets aus innerer Willkür handelnde Akteure. Zur Freiheit gehört der Widerspruch, die Opposition gegen linear-kausale Zweckbestimmungen, gehört die Verneinung. Es könnte tatsächlich gefragt werden, ob KI-Algorithmen imstande sind, willkürlich Verneinungen zu generieren.

Eine verbreitete Kritik an KI-Kunst besagt, die Sprachfähigkeit und Kreativität »des« Menschen sei einer KI grundsätzlich überlegen. Der hier waltende Kreativitätsbegriff weist in Richtung Genie und bleibt in dessen Anbetung befangen. Es gibt eine weitere, scheinbar rationalere Kritik. Sie lautet, der KI fehle die Intentionalität. Dieses Argument ist durchaus interessant. Dahinter steht die These, ohne Rückgriff auf bewusst kontrollierte Intentionen sei es nicht möglich, bezweckte von anderen, gleichfalls bewirkten Wirkungen zu unterscheiden. Nun realisiert sich ein Kunstwerk erst in seiner Rezeption, und Rezipienten ist es weitgehend wurscht, ob sie einer bezweckten oder nicht bezweckten Wirkung ausgesetzt sind. Zur funktionalen Zweckfreiheit der Kunst tritt die durch Intentionen gerade nicht steuerbare Wirkung.

Aber noch einmal zurück zum Ausgangspunkt: Wessen Bild ist das, der Mops im Bunker? Was könnte für mich, den menschlichen Anstoßgeber, ein Urheberrecht an einem KI-generierten Bild begründen? Vielleicht sind es die Prompts. Sie lassen sich als Dialoganteil beschreiben, auf den das Bild dann die Antwort ist. Im hier gezeigten Fall ist der Dialog allerdings nicht sonderlich kreativ. Der menschliche Teil besteht in dem Verlangen, ein Bild mit (mindestens) vier visuellen Elementen zu erzeugen. Eine sprachlich-künstlerische Qualität weist die Aufzählung dieser Elemente nicht auf.

Insofern ist also die Frage der Autorschaft geklärt. Ich bin es nicht, sondern ein multipler Anonymus, der sich Canva nennt. Ich bin der Auftraggeber, der sich statt eines Portraits oder einer abstrakten Flächenkomposition auch einmal einen Mops in einem Bunkerausgang ansehen möchte.

Noch einen Satz zu einem häufigen Missverständnis, das den Computer seit seiner massenhaften Verbreitung begleitet. Die Vorstellung, er sei ein »Werkzeug«, ist naiv. Computer sind keine Schreib- oder Rechenmaschinen, und eine generative KI ist weitaus komplexer und vielschichtiger als ein Pinsel oder ein Rakel.

Dennoch fehlt der KI bislang ein Element, und sogar das für mich entscheidende. KI-Bilder erzeugen kein ästhetisches Interesse. Sie mögen zwar hier und da überraschen, wenn sie ihren Betrachtern ohne die auslösenden Prompts vorgesetzt werden. Aber dieses Versteckspiel ist eine billige Vernebelung der Tatsache, dass sie letztlich uninteressant sind, wenn sie zusammen mit den Prompts angeschaut werden können. Der Eigensinn beispielsweise, dem bestellten Dom keinen zweiten Turm zu spendieren oder eine Bunkerwand mal mit Graffitis zu versehen und mal wieder nicht, lässt gelegentlich nach der Perfektion der eingesetzten Algorithmen fragen. Die Wahrnehmung der Rezipienten wird ansonsten nicht mit Zumutungen belastet. KI-Bilder vermitteln außer ihrer Selbstbezüglichkeit nur signifikante Leere.


Verwendete Literatur

Bajohr, Hannes: Schreibenlassen. Texte zur Literatur im Digitalen. Berlin: August Verlag, 2022.

Luhmann, Niklas: Selbstreferenz und Teleologie in gesellschaftstheoretischer Perspektive. In: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Band 2. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1993, 9–44.

Winter, Dorothea: Warum Künstliche Intelligenz keine schöne Kunst im kantischen Sinne hervorbringen kann. Berlin: Metzler, 2022.

Winter, Dorothea: KI, Kunst und Kitsch. Ein philosophischer Aufreger. Heidelberg: Carl Auer, 2024.