Zu Teil 1
In den letzten sechs Jahren habe ich mich hauptsächlich mit soziologischen und medienwissenschaftlichen Fragen beschäftigt und auch viel geschrieben. Ein Buch, ein buchlanges Manuskript, eine Reihe von Vorträgen und Artikeln – alles wurde und wird in einer um einen Markdown-Editor herum organisierten Umgebung verfasst. Das war zunächst Ulysses, dann Typora, jetzt Obsidian.
Bibliographie
Grundlagen und Anregungen für eigene Texte liefern immer die klugen und nicht so klugen Texte von anderen, sei es als Quellmaterial für literatur- und wissenschaftshistorische Überlegungen, sei es als Stichwortgeber für vorhandene und entwicklungsfähige Ideen oder als Wettbewerber um das bessere Argument. Alle von mir zur Kenntnis genommenen Texte erfasse ich bibliographisch, außerdem fertige ich oft Exzerpte an oder mache kommentierende Notizen zu ihnen. Jeder Titel wird in einer Textdatei festgehalten, die mit einem sinnvoll verkürzten Dateinamen gespeichert wird. Beispiel:
Die Überschrift wiederholt den Dateinamen. Alle Titel werden in einem Verzeichnis abgelegt. Das mache ich themen- und projektbezogen, obwohl natürlich Tags und Suchoperationen auch eine mehrere tausend Titel umfassende Sammlung handhabbar machen können. Ich ziehe es jedoch vor, Texte auch durch Scrollen durch die alphabetisch sortierten Autorennamen ansteuern zu können – und das geht bei 750 Dateien deutlich besser als bei 7.500. Die Textdateien haben nur wenige Bytes und werden von den genannten Programmen (und natürlich auch Text-Editoren wie BBEdit) in Windeseile komplett durchsucht. Da ich inzwischen mehr als 80 Prozent der von mir benutzten Literatur in digitaler Form aufbewahre, kann ich in meine Titeldatei auch einen internen Link zur jeweiligen Publikation aufnehmen. In MacOS lässt sich ein Pfadname aus der Statuszeile nach Drücken der rechten Maustaste schnell kopieren:
Der komplette Pfad kann dann als Link in den Markdown-Editor kopiert und von dort zum Aufruf der Datei (meist ein PDF) in dem für den jeweiligen Dateityp als Standard festgelegten Programm aufgerufen werden.
Im Prinzip benötige ich bei dieser simplen Organisation – ein Titel, eine Datei – kein Literaturverwaltungsprogramm. Ich habe viele dieser Programme probiert, mal kürzer, mal länger, und finde sie alle – wirklich alle – frustrierend. Citavi, Mendeley, Endnote, JabRef, BibDesk, Papers. Sente (inzwischen eingestellt), Zotero kenne ich alle recht gut. Einige von ihnen haben ein eingebautes Modul zur Literaturrecherche in Datenbanken/Bibliotheken, andere zumindest ein Browser-Plugin, das die Übernahme von gefundenen Titeln per Klick leisten soll. Das ist vielversprechend – aber tatsächlich völlig nutzlos. Ich bin kein Naturwissenschaftler oder Mediziner, und ich orientiere mich auch nicht ausschließlich in hochrangigen Fachzeitschriften, sondern suche Literatur auf breiter Front in Büchern und (wissenschaftlichen) Zeitschriften aller Art. Zudem nutze ich schwerpunktmäßig deutschsprachige Literatur – neben englischsprachiger und einer winzigen Portion französischer. Die mir bekannten Suchhilfen finden kaum etwas in meinem Interessenfeld. Wenn ich persönlich deutsche Bibliothekssysteme – dnb.de, digibib.net – und zusätzlich worldcat.org durchsuche, sind zumindest die Buchveröffentlichungen zum größten Teil abgedeckt. Schön wäre es, nun vollständige Titelangaben in mein »System« (oder in irgendeine Literaturverwaltungssoftware) übernehmen zu können, aber das scheitert unter anderem aus zwei Gründen: Die von den Verwaltungsprogrammen bzw. deren Browser-Plugins aus diversen Quellen übernommenen Daten sind nicht vollständig – zum Beispiel fehlen regelmäßig der Verlagsort oder der Verlagsname. Es gibt auch wahnsinnig viele fehlerhafte Metadaten in den Datenbanken da draußen, die dann in den Bibliographie-Apps landen. Und die Importfilter erzeugen eher Chaos als Ordnung, vor allem bei Beiträgen aus Sammelbänden und auch oft schon bei einfachen Buch- oder Zeitschriftentiteln. In jedem Fall muss dann ein Titel nachrecherchiert werden, über Suchmaschinen, Bibliotheks- und Verlagskataloge usw., und der Eintrag manuell bearbeitet werden. Meine Konsequenz: Gleich manuell vorgehen. Was sich mit Copy und Paste oder mit Export als BibTeX-Eintrag aus einem Katalog übertragen lässt, übernehme ich natürlich.
Seit ich mich mit Obsidian angefreundet habe, mache ich nun einen Zwischenschritt in Form einer nach BibTeX-Standard aufgebauten Bibliographie-Datei. Ein Eintrag dort sieht so aus:
@book{bellingradt_2020_pap,
address = {Köln},</br> author = {Bellingradt, Daniel},</br> publisher = {Halem-Verlag},</br> title = {Vernetzte Papiermärkte. Einblicke in den Amsterdamer Handel mit Papier im 18. Jahrhundert.},</br> year = {2020}}</br>
Ein Plugin von Obsidian – genannt Pandoc Reference List –, in dem ich den Speicherort der Bibliographie-Datei und des Darstellungsformats der bibliographischen Elemente angebe, bewirkt, dass bei Eingabe von
@bellingradt_2020_pap
in der rechten Randspalte der App eine perfekt formatierte Literaturangabe erscheint.
Klicke ich eine Referenz an, wird sie automatisch kopiert und kann an beliebiger Stelle im Text bzw. in einem Literaturverzeichnis eingefügt werden. Auch das Kopieren ganzer Listen funktioniert. Ein weiteres Plugin von Obsidian – Einfügen eines »Callout« – erlaubt die farbliche Hinterlegung von Titeln. Eine echte Erweiterung der Funktionalität behandle ich weiter unten im Abschnitt über Anpassungen.
Die BibTeX-Datei, die zum Einfügen der referenzierten Literatur verwendet wird, kann auch mit einem Literaturverwaltungsprogramm wie Zotero oder BibDesk angelegt und erweitert werden. Ein zumindest auf den ersten Blick anerkennenswerter Vorteil, den diese Lösungen haben, ist die Möglichkeit der Auswahl verschiedener bibliographischer Formate (MLA, Chicago usw.), in denen dann Zitationen und Einträge des Literaturverzeichnisses ausgegeben werden. Nur: das muss auch hundertprozentig funktionieren und nicht ständige Nachbesserungen erfordern. Außerdem muss der passende Stil erstmal gefunden werden. Oft schreiben Publisher ein bestimmtes Format vor, und mit einigem Glück ist es unter den inzwischen über 2.500 wählbaren Formaten im Github Style Repository. Allerdings habe ich mehrfach Pech gehabt und bin auf Zitationsvorschriften gestoßen, die von allen diesen Formaten abweichen. Es gibt Anleitungen im Web zur Anfertigung eigener CSL-Dateien, die in Literaturverwaltungsprogramme importiert werden können. Meine Erfahrung damit ist qualvoll. Die Literaturquellen zerfallen ja in eine Reihe von Typen: Monographien mit einem Autor und mit mehreren Autoren, Aufsatzsammlungen eines Autors, Beiträge in Sammelbänden mit einem oder mehreren Herausgebern, Jahrbüchern oder Tagungsbänden, Zeitschriftenartikel usw. Hinzu kommen spezielle Textgattungen wie Gesetze, Gerichtsentscheidungen – und natürlich Websites und Web-only-Artikel. Für jeden dieser Typen muss im Prinzip eine eigene Rubrik in einer CSL-Datei existieren. Ein schöner Traum. Wenn man sich umschaut, ist das in fast keiner dieser vielen hundert Varianten der Fall. Auch hier profitieren vielleicht bestimmte Fachrichtungen der »harten« Naturwissenschaften, der Medizin und der Rechtslehre von den in ihren Bereichen genutzten Styles, die oft mit starken Verkürzungen bei den Angaben von Namen und Quellen arbeiten. In den Geistes- und einem Teil der Sozialwissenschaften gibt es andere Gewohnheiten, die ich nicht abgebildet finde. Ich habe mir mit großer Mühe, letztlich unter Einsatz eines ganzen Arbeitstages, eine CSL-Datei gebastelt, die für fast alle der von mir aufgenommenen Titel funktioniert und sie in der für mich angenehmsten Form darstellt.
Inzwischen gebe ich bibliographische Daten für meine BibTeX-Datei auch gern in der BibDesk-App ein. Das enthebt mich der Sorgfalt, die bei der Eingabe von geschweiften Klammern, Kommata und Einrückungen notwendig wäre, wenn sie in einem Text-Editor erfolgte. BibDesk ziehe ich Zotero vor, weil es eine kompaktere und anspruchslosere App ist. Die Möglichkeit, die bibliographischen Einträge geschickt zu sortieren und zu ihnen Notizen und Links hinzuzufügen, interessiert mich nicht, weil ich dafür ja meine »Freitext-Datenbank« Obsidian benutze. Tatsächlich erinnert mich Obsidian ein wenig an zwei PC-Programme, die in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre verbreitet waren, die programmierbare Textverarbeitung Euroscript und die freiformatige Datenbank askSam. Gegen das Erlernen des Umgangs mit sinnvollen Hilfsmitteln gibt es keine Einwände, aber Datenbanken mit festen Feldern und umständlichen Verknüpfungsmechanismen schienen mir noch nie passend für meinen Umgang mit wissenschaftlicher und anderer Literatur zu sein. Die heutigen Literaturverwaltungsprogramme strömen alle den Dunst der Datenbank-Ära aus, sind eher Prokrustes-Betten als Helfer für eigene Flugunternehmen.
Mein Vorgehen ist jedenfalls sehr einfach. Ich schreibe den Text in Obsidian, füge – im Text selbst oder in einer Fußnote – einen Citekey aus meiner BibTeX-Datei ein (@bellingradt_2020_pap: 211), beobachte in der rechten Randspalte, dass es der richtige und richtig formatierte Titel ist und mache dann weiter. Die Literaturangaben sammeln sich in der Randspalte an und können am Ende in ein Literaturverzeichnis kopiert werden. In einem Korrekturlauf muss ich dann die Citekeys in den Klammern suchen – also nach »(@« – und sie manuell ändern, in diesem Fall in (Bellingradt 2020: 211).
Mehr ist zur Literaturverwaltung nicht zu sagen. Der aufwendigste Teil daran war für mich die Erzeugung einer passenden CSL-Datei, und die klarste Botschaft zumindest für deutschsprachige Geistes- und Sozialwissenschaftler ist: Die eigenständige Suche und Eintragung von Titeln in eine BibTeX-Datei ist effizienter als die Nutzung von Werkzeugen eines Literaturverwaltungsprogramms wie Mendeley oder Zotero. Ausschließlich für die Eingabe von Titeln kann ein solches Programm nützlich sein, wenn es eine normgerechte BibTeX-Datei als Basis hat; hier bietet BibDesk in seiner Schlichtheit die angenehmste Lösung.
Exzerpte und Notizen
Zum Sinn von Exzerpten habe ich mir immer wieder Gedanken gemacht. Sofern sie im wesentlichen aus Abschriften von Textpassagen bestehen, sind sie in zweifacher Hinsicht fragwürdig. Ich schreibe etwas ab, das mir spontan bedeutsam vorkommt – und verschiebe das Nachdenken über diese Passagen auf später? Ich beschränke mich auf die Auswahl einzelner Sätze, deren Kontext mir beim Wiederlesen bereits nach einigen Monaten nicht mehr klar ist? Trotz dieser Fragen habe ich allerdings Exzerpte noch nicht ganz aufgegeben. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass vor allem handschriftliche Aufzeichnungen parallel zur Lektüre zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem Text und höherer Memorabilität beitragen als Anstreichungen oder kleine Randnotizen. Exzerpte und Notizen, die direkt in digitaler Form erzeugt werden, sind nicht so effektiv. Ich experimentiere ständig mit Mischformen. Manchmal schreibe ich stichwortartige Notizen in ein Notizbuch, die ich nach Abschluss der Lektüre in verlängerter, also gewissermaßen durchgearbeiteter Form auf dem iPhone in Obsidian diktiere. Die Spracherkennung ist inzwischen gut genug und erfordert nur noch wenige Korrekturen (bei Namen vor allem).
Es kommt natürlich darauf an, in welchem Kontext der jeweilige Text von mir wahrgenommen wird. Hier ein Beispiel für ein Buch, das ich sozusagen zu meinem Vergnügen gelesen habe. Es enthält eine Fülle anekdotischer Informationen, die ich mir auszugsweise notiert habe, angereichert um eigene Gedanken und Erinnerungen.
Wesentlich scheint mir die Differenz von Exzerpt und Notiz zu sein. Wenn ein Text in digitaler Form vorliegt und mit Hervorhebungen sowie Randnotizen versehen wurde, sind nicht Exzerpte die Brücken zum eigenen Text, sondern Notizen. Ich lese und annotiere PDFs entweder mit PDF Expert auf dem Mac oder – seit Anfang 2023 – auf einem Kindle Scribe (wenn Format und Kontrast des PDFs das ermöglichen). Die auf dem Kindle erzeugten Notizen lassen sich mit dem Plugin Kindle Highlights in Obsidian importieren – allerdings bis jetzt nicht die handschriftlichen Notizen, die auf dem Scribe erzeugt werden können. Ich gehe jedenfalls die im PDF enthaltenen Hervorhebungen und Anmerkungen durch und erzeuge dazu Notizen in Obsidian – immer in der einem Buch zugeordneten Datei, die zunächst nur einen bibliographischen Eintrag enthielt. Das ergibt manchmal eine nur karge Ausbeute, wenn ich zum Beispiel merke, dass ich mit dem Gelesenen nicht viel anfangen kann und werde – und mich vielleicht später noch einmal ausführlicher damit auseinandersetzen möchte. Dazu noch einmal das schon zitierte Beispiel:
Sind die Notizen umfangreicher und besser ausformuliert als in diesem Fall, können sie bereits Bausteine der eigenen Texte sein. Jedenfalls sind sie in der Obsidian-Projektbibliographie leicht zu finden, vor allem durch die Tags, die jederzeit erweitert werden können, analog zum Anwachsen der eigenen Erkenntnisse.
Sehr produktiv sind Querverweise zwischen den Notizdateien. Sie werden in Obsidian mit einer speziellen Funktion (Links und »Backlinks«) sichtbar gemacht. Ein Beispiel hier – erst der Link, dann der automatisch in der verlinkten Datei erzeugte Backlink.
Aus der inzwischen recht umfangreichen Literatur zu den Zettelkästen (vgl. dazu auch Teil 1 dieses Beitrags) von Niklas Luhmann, Hans Blumenberg und Arno Schmidt[1] lässt sich entnehmen, dass es kein einheitliches Anwendungsverfahren für Karteinotizen gibt – und geben sollte. Daher führen die bestehenden Versuche, die Luhmannsche Zettelkastenlogik in Software zu gießen, in meinen Augen in die Irre. Sie behindern geradezu die Entwicklung eines eigenen Weges und eigener Entscheidungen über das Sammeln, Notieren und Entwerfen von Texten. Für mich sind diese digitale Zettelkasten-Systeme Gefängniszellen, die ich tunlichst vermeide.
Entwürfe
Ein von den bibliographischen und sachlichen Notaten unabhängiger nächster Schritt ist das Entwerfen der Struktur und der Gewichtungen des geplanten Textes. Dazu gibt es vor allem auf dem Markt der Mac-Software viele spezialisierte Programme, sogenannte Outliner. In rudimentärer Form kann auch Obsidian als Outliner benutzt werden. Das vertikale Verschieben von Abschnitten, auch einschließlich ihrer Unterabschnitte, geht mit einer Tastenkombination wie Control–Command–Pfeil auf/ab, wie in den meisten Outliner-Apps. Es gibt auch ein Outliner-Plugin, das der Basis-Funktionalität jedoch nicht viel Nützliches hinzufügt. Man kann sich also entscheiden: Erzeugung einer Gliederungsstruktur mit den eingebauten Mitteln von Obsidian – oder mit einem fremden Programm. Eine Gliederung ist entweder eine Liste mit Stichworten – oder eine aus Überschriften der verschiedenen Ebenen gebildete Struktur. Ich entscheide mich so: Im Fall einer noch ungeklärten Struktur und Schwerpunktbildung für den geplanten Text benutze ich eine externe Outliner-App, nämlich Bike. Wenn ich einigermaßen zufrieden mit der Strukturierung bin – und im vollen Bewusstsein der Tatsache, dass ich gerne und häufig noch Veränderungen an ihr vornehme –, kopiere ich sie als Text in eine Markdown-Datei in Obsidian. Leider gibt es derzeit noch keine Importfunktion für das OPML-Format (das von vielen Outlinern und Mindmap-Programmen benutzt wird), so dass manuell etwas nachgebessert werden muss, um die Gliederungsebenen zu Überschriftenebenen zu machen. Das nehme ich allerdings in Kauf, da ich den Komfort des Brainstormings mit einem Outliner/mit Bike schätze. Bei langen Texten wird für jede Kapitelüberschrift eine eigene Datei erzeugt, bei kürzeren (sagen wir: bis zu 100.000 Zeichen) behalte ich den Text in einer einzigen Datei.
Die Suchoperationen laufen in Obsidian – aufgrund interner Indexierung und auch, weil es sich bei Markdown-Dateien um puren Text handelt – superschnell ab. Daher ist bei der Aufteilung längerer Texte in mehrere Dateien nur der Nachteil zu befürchten, dass das Verschieben von einem Kapitel in ein anderes nicht ganz so bequem ist wie das Verschieben innerhalb einer einzigen Datei. Das ist in der (bei mir) linken Randspalte möglich, in der die Gliederungsansicht (Outline) des Textes dargestellt wird. Click-and-Drag einer Überschrift zieht alle Textteile, die ihr hierarchisch untergeordnet sind, mit. Auf diese Weise lässt sich auch ein längerer Text zuverlässig umorganisieren, ohne dass mit Ausschneiden und Einfügen gearbeitet werden muss.
Da Obsidian Fußnoten beherrscht – die auch getreulich in das .docx-Format exportiert werden –, gibt es keinen vernünftigen Grund, weshalb nicht eine ganze Dissertation oder ein vergleichbarer Text komplett in Obsidian verfasst werden sollte. Die Nummerierung der Fußnoten geht – Markdown-typisch – unter Umständen etwas durcheinander, nämlich in der Reihenfolge ihrer Eingabe. Das kann zu solchen Erscheinungen führen:
Die »Unordnung« wird allerdings beim Export der Markdown-Datei ins .docx-Format automatisch korrigiert. Hier die Word-Version:
Das Schreiben in Obsidian mit der Möglichkeit des sofortigen Zugriffs auf alle Notizen und die gesamte angelegte Bibliographie ist nach einer kurzen Eingewöhnungszeit bequem. Im Arbeitsfenster mit seinen beiden Randspalten sind ausschließlich nützliche Zusätze sichtbar. Einen davon habe ich noch nicht erwähnt: das Angebot, nicht-verlinkte Verweise auf Texte und Textstellen im »Vault«, also dem Obsidian-Projektkonvolut, explizit herzustellen. Das ist manchmal sehr hilfreich, wenn ich zum Beispiel übersehen oder vergessen habe, dass zu einem Gegenstand, der im aktuellen Text behandelt wird, auch etwas in einem anderen Text steht, den ich vor längerer Zeit bearbeitet habe.
In der linken Spalte ist die Gliederung des aktuellen Textes, in der rechten Spalte sind Vorschläge zur Verlinkung von bereits vorhandenen Inhalten zu sehen.
Anpassungen
Meine Arbeitsumgebung in Obsidian ist schier unendlich erweiterbar und anpassungsfähig. Momentan stehen fast 1.000 Plugins zur Verfügung, die sinnvolle und zum Teil auch in meinen Augen recht überflüssige Arbeitshilfen anbieten.
Ganz wichtig sind mir Tags, also Schlagwörter. Mit ihnen wird das Suchen und Finden von Texten erheblich beschleunigt. Ein selbsterklärendes Beispiel:
In der Suche lassen sich mehrere Tags kombinieren oder auch mit einem Minuszeichen vor »tag:« ausschließen. Obsidian verwaltet auf Wunsch verschachtelte Tags, also »medien/fernsehen« und »medien/internet«, was die Übersichtlichkeit der Tag-Liste verbessert, aber nicht die Auswahl des passenden Tags bei der Eingabe, wenn es zuviele von ihnen gibt. Mein Ideal ist eigentlich eine Anzahl von maximal 50 Schlagwörtern (real liege ich bei über 80). Tags mit einstelligem Vorkommen eliminiere ich nach einer Weile und weise die Texte einer umfangreicher vertretenen Kategorie zu. Allerdings ist ein Tag »mediengeschichte« mit über 300 Einträgen nicht produktiv nutzbar, muss also aufgetrennt oder ergänzt werden.
Tags können in Obsidian an einer beliebigen Stelle im Text auftauchen. Zu raten ist jedoch, sie an den Anfang oder an das Ende zu stellen. Tags unter dem Text werden auch von einigen anderen Apps verstanden, aber nicht immer, wenn sie mitten in der Datei stehen. Tags haben dieses Aussehen:
Eine noch bessere und für erweiterte Funktionen nutzbare Variante ist der Einbau der Tags in einen »YAML«-Header. YAML ist eine absolut rudimentäre Symbolsprache, die selektive Zugriffe und Sortieroperationen für Daten ermöglicht. Beispielsweise wird YAML ohnehin benutzt, um mithilfe der oben erwähnten CSL-Datei bibliographische Daten in die gewünschte Textform zu bringen. YAML-Daten gehören ganz an den Beginn einer Markdown-Datei (und werden auch von einigen anderen Apps »verstanden«, zum Beispiel Typora). Ich stelle allen bibliographischen Einträgen immer einen YAML-Header voran. Dazu verhilft mir eine Tastenkombination, die ein Obsidian-Template aufruft, das ich an einer bestimmten Stelle gespeichert habe. Es sieht so aus:
Hinter das @-Zeichen schreibe oder kopiere ich dann einen BibTeX-Eintrag, und in der zweiten Zeile trage ich Schlagwörter ein. Dazu gibt es weiter oben schon eine Abbildung. Eckige Klammern um die Tags herum sind sinnvoll, wenn die Tags sich über mehr als eine Zeile ausbreiten und entsprechen ohnehin dem strikten YAML-Standard. Mit Alias-Dateinamen mag sich auseinandersetzen, wer schon länger mit Obsidian arbeitet, ich übergehe dieses Feature hier. Der Dateiname wird automatisch eingetragen, wenn die Datei gespeichert wird.
Templates lassen sich auch im Text für andere Zwecke einsetzen, beispielsweise für Formulare und Listen.
Die Auswahl passender Plugins kann sich über längere Zeit hinziehen. Ich habe schritt- und schubweise Plugins ausprobiert und wieder verworfen. Am Ende ist eine recht minimalistische Auswahl herausgekommen, an der ich nun schon einige Monate festhalte. Viele Plugin-Beschreibungen versprechen in knappen Worten ein Himmelreich, aber erzwingen dann bei ihrer Nutzung umständliche Verrichtungen, auf die ich gern verzichte. Wie schon am Beispiel des Outliners berichtet: In manchen Fällen ist es sinnvoller, ein spezielles Tool außerhalb von Obsidian zu verwenden als eine Bastellösung.
Unverzichtbar sind neben den ohnehin eingebauten Plugins diese aus der »Community« bereitgestellten:
- Markdown Table Editor. Erleichtert die sonst ziemlich umständliche und unübersichtliche Murkserei mit Tabellen in Markdown erheblich.
- Obsidian Enhancing Export. Wenn auf dem Computer Pandoc installiert ist (das sollte es), ermöglicht das Plugin eine brauchbare Ausgabe in .docx und PDF sowie weitere Formate.
- Pandoc Reference List. Ist notwendig für den beschriebenen Import bibliographischer Quellen im BibTeX-Format.
- Smart Typography. Ermöglicht die Verwendung der gewünschten und typographisch korrekten Anführungszeichen und Gedankenstriche bei der Eingabe.
- Tag Wrangler. Tags können in der Randspalte bearbeitet werden, ohne dass es nötig wird, sie an jedem vorkommenden Ort aufzusuchen. Ist unter anderem dann interessant, wenn die Zahl der Tags zunimmt und durch Zusammenführung beschnitten werden soll.
Gewöhnt habe ich mich ferner an diese Erweiterungen:
- Footnote Shortcut. Vereinfacht die allerdings auch ohne dieses Plugin mögliche Eingabe von Fußnoten.
- Linter. Formatiert YAML- und eine Reihe weiterer Elemente. Ist im Fall der Verwendung von YAML-Headern und Templates eine angenehme Hilfe. Zum Beispiel fügt Linter beim Speichern in den YAML-Header zwei Datumszeilen ein, für den ersten und für den aktuellen Speichervorgang.
- Paste URL into Selection. Tut, was der Name sagt: Zeichenkette im Text markieren, eine vorher im Browser markierte URL wird als Link zugeordnet.
Obsidian ermöglicht die Wahl eines Themes für die Gestaltung der Oberfläche und Bedienelemente. Ich habe das Minimal Theme gewählt, das gar nicht so »minimal« ist, sondern Einstellungen für das übersichtliche Aussehen der Arbeitsumgebung ermöglicht wie Farben, Textgrößen, Zeilenlänge bietet.
Finalisierung
Die sorgfältig redigierten Texte exportiere ich in der Regel in das .docx-Format, um sie in eine abgabefähige Form zu bringen. Dazu verhilft mir entweder Textmaker (das für mich das bessere Microsoft Word ist) oder Affinity Publisher.
Nach der Formatierung lese ich den Text ein weiteres Mal sorgfältig am Bildschirm – und finde in der Regel eine ganze Menge vorher übersehener Fehler, zum Beispiel Bearbeitungstrümmer in Form von doppelten Wörtern oder unvollständigen Sätzen. Wenn es sich um ein Manuskript handelt, das womöglich in der von mir abgegebenen Fassung publiziert werden soll, drucke ich es mir selbst einmal aus und lese es erneut auf Papier – und wieder finde ich ein paar Fehler. Hilfreich ist es an dieser Stelle natürlich auch, wenn eine weitere Person den Text korrigiert. Erst dann, also nach dem Einbringen der Korrekturen in die Datei, ist er absendefertig.
Fazit
Meine Arbeitsumgebungen waren immer den Gezeiten unterworfen. Flut: Neue Programme, neue Features, mehr, mehr … Ebbe: Reduktion auf das Wesentliche, Notwendige, Einfache und Effiziente. Die hier beschriebenen Entscheidungen und Abläufe gehören ganz klar in die letztgenannte Kategorie. Ich gehe seit 1984 mit Computern um, und das von vornherein als reflektierender Anwender, der seine Neugier mit soziologischen, arbeitswissenschaftlichen, psychologischen und anderen Aspekten verband. Vor allem Ausschlussentscheidungen waren es, die mir die Arbeit erleichtert und angenehm gemacht haben: Word Perfect, dann Nisus und nicht Word; Ventura Publisher, dann FrameMaker und nicht Quark XPress: Das waren die Festlegungen im ersten Jahrzehnt meiner computergestützten, zum Teil auch computerbezogenen Tätigkeiten. Danach fielen die bis dato guten Entscheidungen dem Zahn der Zeit zum Opfer, neue Hard- und Softwareplattformen erzwangen neue Orientierungen. Die Entwicklungen der letzten zwanzig Jahre haben die Verhältnisse zum Teil kompliziert – Online-Recherche, Cloudspeicher, internetbasierte Kollaboration – und zum Teil auch vereinfacht. Der Weg zu einem gut gestalteten und angenehm lesbaren Text ist dabei allerdings nicht kürzer geworden, nur anders. Was KI-Tools in den nächsten Jahren an Erleichterungen und Komplikationen hinzufügen, lässt sich noch nicht absehen. Die Anforderung für jeden Einzelnen, die eigene Arbeitsweise für den Weg von der Idee zum Text zu strukturieren, wird bleiben.
- Dazu Karin Krauthausen: Zwischen Ordnung und Unordnung. Überlegungen zu den Kartei- und Zettelkästen von Hans Blumenberg, Niklas Luhmann und Arno Schmidt. In: Busch, Kathrin (Hrsg.): Anderes Wissen. Paderborn: Fink, 2016, 48–73.