In der bei Suhrkamp 2009 erfreulicherweise erschienenen deutschen Übersetzung des Tristano-Konvoluts von Nanni Balestrini gibt es im paratextuellen Bereich zwei kleine Fehler. Eine Erklärung auf der Seite mit den Verlagsangaben besagt, dass erst neuerdings die digitale Drucktechnik ermögliche, das Buch so zu veröffentlichen, wie Balestrini es geplant hatte.
Daran ist richtig, dass Feltrinelli den Aufwand scheute, x verschiedene Exemplare mit jeweils anders angeordneten Absätzen des Textes zu publizieren. Die digitale Satz- und Drucktechnik unterstützt diese Idee in der Tat eher. Aber: Schon 1984, also noch vor der Entwicklung der von Suhrkamp genutzten Techniken, schaffte es der Verleger Klaus Ramm, das Buch Holunder von Hartmut Geerken in einigen hundert unikaten Exemplaren drucken zu lassen. Ich habe seitdem zwei dieser Exemplare im Regal.
Hartmut Geerken, der 2021 starb, war ein äußerst produktiver und ideenreicher Schriftsteller, Philosoph, Ethnologe und Freejazzer. Ich besorgte ihm bei einem Besuch in Bremen ein Saxophon, mit dem er nach einer Lesung noch eine Weile jammte.
Der zweite kleine Irrtum unterlief Peter O. Chotjewitz, der Balistrinis Text übersetzte und mit einem Nachwort versah, betitelt »Der Neue Roman im Zeitalter seiner programmgesteuerten Reproduzierbarkeit«. In dem zu lesen ist, dass Helmut Heißenbüttel das Gemisch aus Zitat, Meinung, Meldung und Stellungnahme im eigenen Werk realisiert hätte – und genau diese Mischung auch in Balestrinis »Roman« anzutreffen sei – »den Heißenbüttel nicht gekannt haben dürfte«. An einer Veranstaltung im Jahr 1984, auf der Hemut Heißenbüttel und Hartmut Geerken lasen, sollte auch Nanni Balestrini teilnehmen, er wagte allerdings nicht die Reise nach Bremen, weil in Italien ein Haftbefehl gegen ihn vorlag. Gerald Bisinger las von ihm übersetzte Gedichte Balestrinis vor, und über sein Werk wurde viel gesprochen. Zu ihm gehört Wir wollen alles (1972), ein Manifest in Romanform, Die Unsichtbaren (deutsch 1988), ein Roman über die italienischen Stadtindianer und ihre Verfolgung, und eben sein früher experimenteller Tristano. Helmut Heißenbüttel hat also zumindest 1984 von ihm erfahren.
Nanni Balestrini: Tristano (mein Unikat trägt die Nr. 6208). Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2009.
Hartmut Geerken: Holunder. Spenge: Verlag Klaus Ramm, 1984.