Wieder einmal diese Zumutung. Alltägliches Gelaber aus der Berufssphäre und aus dem Privatleben wird als Gelaber wiedergegeben, ohne jegliche Distanz, ohne jeglichen Erkenntnisgewinn. Mich interessiert allerdings ganz und gar nicht, was Bundestagsabgeordnete und -mitarbeiter 2011 gelabert haben. Auch wenn im Buch die NSU-Aufklärung, das Bundespräsidentenpaar Wulff und der Ort Bückeburg vorkommen, in dem ich mal drei Jahre wohnen und zur Schule gehen musste. Dieser Roman entspricht in Story und Stil eher den geschwätzigen Gesellschaftsromanen des 19. Jahrhundert, entbehrt aber deren gelegentlichen Witz. Er spielt mit der Andeutung, es könne sich um einen Schlüsselroman handeln. Aber da gibt es gar nichts, dessen Entschlüsselung interessant wäre. Bei der Lektüre steigt ein Gefühl großer Demut auf. Nicht vor diesem Autor, sondern vor Wolfgang Koeppen und seinem Treibhaus.
Ulf Erdmann Ziegler: Eine andere Epoche. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2021
Als ich amüsiert über die Abzocke der Mineralölindustrie diese Preisanzeigen fotografierte, kam mir ein älteres Ehepaar entgegen. »Nächste Woche kostet der Liter 5 Euro«, sagte er. »Oder gar nichts mehr«, sagte sie.
In einem Bühnendialog im Hygienemuseum Dresden sprachen der Kulturhistoriker Philipp Felsch (HU Berlin) und der Kulturwissenschaftler Andreas Bernard (Leuphana Lüneburg) im September 2021 über Foucault.
Natürlich wurde viel über ›Macht‹ geredet, wobei sich Bernard einigermaßen an die Begriffsverwendung bei Foucault herantastete. Beim allfälligen Vergleich der Machtkonzepte von Marx und Foucault war allerdings wenig Verständnis zu spüren. Die 1969 und 1972 geborenen Akteure haben keine extensive Marxkenntnis, wurden dafür akademisch in den 1990er Jahren sozialisiert, in denen Foucaults (oder irgendein anderer) ›Diskurs‹ in hoher Blüte stand.
Die Veranstaltung stand unter der Prämisse, dass Foucaults Theorie im Gegensatz zu anderen französischen Poststrukturalisten (Derrida, Lacan, Baudrillard) auch heute immer noch überzeugend sei. Die Feststellung ist etwas verwunderlich, da auf dem Feld der akademischen Moden doch seit langem ein Übergang von Analysen der Gesellschaftsstrukturen, zu denen seine Diskurstheorie immerhin noch beigetragen hatte, zu Subjekttheorien wie der von Deleuze zu beobachten ist. Deleuze wird höchstens vorgeworfen, dass sein molekulares und nomadisches Subjekt zu ›weiß‹ ist und sich nicht kritisch mit seiner kolonialen Vergangenheit auseinandersetzt. Aber über die momentan laufenden Debatten über Identitäten aller Art wurde in Dresden nicht viel gesprochen.
Dafür fand dann ein Abwatschen von Derrida – »poetische Spielereien, die die Theorie verzieren« – und von Baudrillard – »so fremd wie ein Barocklyriker irgendwie« – durch Bernard statt. Felsch, der sonst zumindest immer für einen bildungsbürgerlichen Kalauer gut ist (einen alpinistischen Essay betitelte er in Anlehnung an Friedrich Kittler ›Aufsteigesysteme 1800–1900‹), pflichtete ihm ohne weiteres bei. Zumindest die direkte Auseinandersetzung von Baudrillard mit Foucault – ›Oublier Foucault‹ 1977 – oder die medientheoretisch immer noch äußerst beeindruckenden Schriften Derridas über das Archiv – hätten auf dieser Veranstaltung eine seriöse Behandlung verdient.
Die kundigste Person des Dresdner Abends war die Moderatorin (deren Namen ich nicht gefunden habe).