Manifeste kombinieren häufig ein Maximum an Pathos mit einem Minimum an Empirie und Strategie. Sie appellieren an Wertvorstellungen, die von vielen geteilt werden und geben ihren Unterzeichnern das gute Gefühl, für eine richtige Sache einzutreten. So verhält es sich auch hier, beim The Public Service Media and Public Service Internet Manifesto aus dem Umfeld der »Public-Value«-Abteilung des öffentlich-rechtlichen ORF. Es geht um die Idee, dass aus gemeinschaftsdienlichen Rundfunkanstalten nun ebensolche Online-Plattformen werden sollen: »We strive for a revitalisation and renewal of Public Service Media in the digital age.« Wie dieses – verständliche und unterstützenswerte – Ziel angegangen werden soll, wird allerdings nicht gesagt. Stattdessen werden wir Leser mit einer Suada schönster Prinzipienerklärungen überschüttet.
Das Manifest malt die aktuelle Medienwelt in den düstersten Farben:
The Internet and the media landscape are broken. The dominant commercial Internet platforms endanger democracy. They have created a communications landscape dominated by surveillance, advertising, fake news, hate speech, conspiracy theories, and algorithmic allocation of users to commercial and political content tailored to their expressed tastes and opinions. As currently organised, the Internet separates and divides instead of creating common spaces for negotiating difference and disagreement. Commercial Internet platforms have harmed citizens, users, everyday life, and society. Despite all the great opportunities the Internet has offered to society and individuals, the digital giants led by Apple, Alphabet/Google, Microsoft, Amazon, Alibaba, Facebook, and Tencent have acquired unparalleled economic, political and cultural power.
Fürchterlicher geht es kaum. Belege für die Gefährdung der Demokratie, für die Spaltung der Gesellschaft durch das Internet, für die Beschädigung der Bürger und des Alltagslebens fehlen allerdings. Dafür stehen die Lichtbringer bereits fest: die öffentlich-rechtlichen Medien, die sich nur noch auf eine mit keinem Wort erwähnte Weise erneuern müssen.
Eine Strategie zur Veränderung des Bestehenden sollte mit dessen Kritik beginnen. Die selbstkritische Analyse der eigenen Position, der eigenen ergriffenen und verpassten Möglichkeiten und des eigenen Unvermögens gehört dazu. Warum haben sich die Public Service Media (aka Öffentlich-rechtlicher Rundfunk) bislang von der Entwicklung der digitalen Medienwelt weitgehend abgekoppelt oder abkoppeln lassen? An welchen Punkten müssen sie zunächst sich selbst verändern, um den angestrebten Beitrag zur Verbesserung und Verschönerung der digitalen Medienwelt – und der immer wieder angerufenen Demokratie – leisten zu können?
Gegen den offenkundigen Mainstream der Russland- und Kriegserklärer, zu denen auch alte antirevisionistische Kämpen wie Gerd Koenen und Kalrl Schlögel gehören, erhebt sich kaum eine öffentlich bemerkte Stimme. Eine fällt durchaus auf. Johannes Varwick, Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt internationale Sicherheitspolitik, spricht jetzt häufig – nolens volens – die Gegenworte zum Chor der plötzlich zu Bellizisten, Nato- und Aufrüstungsbefürwortern konvertierten Stimmen, von denen nicht wenige in der Vergangenheit noch ganz anders tönten. Varwick bezeichnet sich nicht als Pazifisten, aber regt dazu an, den russischen Einmarsch in die Ukraine von seinen möglichen Ergebnissen her zu betrachten. Realistischerweise kann es nur einen militärischen Sieg Russlands oder – hoffentlich sehr bald – einen Waffenstillstand und Verhandlungen geben, in denen die russischen Interessen in Kompromisse eingehen. Das Anfeuern des Krieges durch die Forderung nach weiteren Waffenlieferungen oder gar nach einer durch die Nato gesicherte Flugverbotszone ist von nicht zu unterschätzender Gefährlichkeit. Das scheint den alten und neuen Militaristen sowie den Medien, die ihnen Text-, Ton- und Bildstrecken in ungeheuren Maßen zur Verfügung stellen, herzlich egal zu sein.
Varwick jedenfalls kann hier gehört werden, sein aktuelles Portfolio an politischen Kommentaren ist auf seiner eigenen Website zu finden.
Das ist wirklich seltsam. Der erste Krieg ohne Kriegsberichte. Nur PR und Betroffenheitsblitze, die keinen Überblick ermöglichen. Der ukrainische Oberbefehlshaber und Präsident hat nicht ein einziges Mal die Lage dargestellt, er beschränkt sich in seinen Videos auf herausgepickte Details über militärische Erfolge und pathetische Appelle an den Westen. Es versucht offenbar auch niemand, auf der ukrainischen oder russischen Seite als embedded journalist tätig zu werden (wie zweifelhaft das als journalistische Praxis auch immer wäre). Das war in Vietnam auf beiden Seiten und im Irak zumindest auf amerikanischer noch gängig. Überhaupt tauchen die ukrainischen Streitkräfte, mindestens 250.000 Soldaten (darunter 25.000 Ausländer), dazu Paramilitärs und Amateure, in Berichten nicht auf.
Das offenkundige Maximum an journalistischer Sach- und Fachinformation bei Öffentlich-Rechtlichen ist dieser Podcast:
Talkshows diskutieren in Nebelregionen. Toll gestern Markus Lanz, der aus seinen Gästen eine Zustimmung zum polnischen MIG-Angebot herauskitzelte und die möglichen Folgen kleinreden ließ, und noch während der Laufzeit der Sendung (aber ein paar Stunden nach ihrer Aufnahme) kam das Dementi der USA mit dem berechtigten Hinweis auf die unabsehbaren geopolitischen (also militärischen) Folgen.
Nur weil man von überall mit kleinem Equipment in Echtzeit berichten kann – solange die Netze nicht nachhaltig gestört werden –, tut man es. Sogenannte „Einordnung“ findet nicht statt, höchstens eine in den bei uns geltenden Moral-Kodex, wenn es um Opfer geht. – Abgesehen davon wird „Einordnung“ und Kommentierung immer weniger getrennt.
Rundfunkgremien? Programmbeobachtung und -diskussion?
Apple. Das Apple-Universum ist Freunden und Schülern von Friedrich Kittler und auch Anhängern „freier“ Software meist suspekt, obwohl viele von ihnen es als akademischen Quasi-Standard akzeptieren. Die mangelnde Offenheit von Hard- und Software und die Unterwerfung aller Kundenwünsche unter ein weltumspannendes Marketingdiktat genügten lange als Argumente – auch gegen die Faszination an gelegentlichen Innovationen und vor allem am Produktdesign. WH adaptierte Mac und iPhone für sich erst spät – und dann auch, um deren Benutzeroberflächen auf ihre synästhetischen Eigenschaften hin zu untersuchen. Ein wenig mag mitgeholfen haben, dass er mit der Apple Watch seinen aktuellen Herzschlag an die meist ferne Gefährtin übermitteln kann.
Bach. In WHs Schriften ist nichts über über Johann Sebastian Bach zu finden. Das ist verwunderlich, denn er spielte über Jahre auf Tasteninstrumenten kaum ein Stück anderer Komponisten. Es kann vermutet werden, dass Bachs Musik einen Ordnungsüberschuss erzeugt, der beim Arrangement komplexer beruflicher und privater Verhältnisse nützlich ist.
Cage. „Continuity today, when it is necessary, is a demonstration of disinterestedness“. Zumindest dieser Devise von John Cage aus der Lecture on Nothing folgte WH. Dass er sich bei der Wahl seiner Themen so vom Zufall leiten ließ wie Cage, der aus den Fliegenschissen auf einem Notenblatt ein Musikstück machte, wird er selbst bestreiten.
Dr. Nox. (Vorname nicht überliefert). Bremer Musikologe und Pharmazeut. Er spielte schwarze Musik und User Generated Content. Für eine spätabendliche Community war er die Stimme eines akustischen „Survival Research Lab“. Nahm sie mit auf eine „Eroberungsfahrt, die das aufdecken will, was sie als Ereignis mit sich bringt.“ (—> Leo G. Wahnfangg).
Euroscript. «MZ10,hans»«MZ20,otto»«MA10,«ET10»+«ET20»» Der Inhalt des Textbausteins 20 wird dem Inhalt des Textbaustein 10 angefügt. Die Variable 10 hat jetzt den Wert „hansotto“.
Aus den teilweise undokumentierten Makrofunktionen, genannt „Anwenderprogrammierung“, des DOS-Textprogramms Euroscript entstand die erste Version des Musikauswahlprogramms der Radiowelle Bremen Vier. Es war die umständlichste und unzuverlässigste Option zur Bewältigung der vorgesehenen Aufgaben. Aber sie funktionierte eine Weile – und der hypnotische Sog des Programmierens setzte ein.
Feynman. Keiner der beim Abfall von den Geisteswissenschaften wirkenden großen Idole – Freud, Lacan, Foucault, Heidegger, Husserl, Turing, Shannon, von Neumann, Wiener (wer fehlt? Kerninghan? Innis?) – scheint eine so kontinuierliche und nachhaltige Resonanz in den Arbeiten WHs zu finden wie Richard Feynman. Zumindest sind es die grundlegenden Themen der modernen Physik, die Feynman in den 1960er Jahren abgehandelt hat, die immer wieder, auch an unerwartbaren Stellen, von WH aufgerufen werden. Sei es ein Vortrag zur Buchgeschichte oder einer über Smartphone-Photographie – ohne einen Hinweis auf die Quantentheorie (oder ihre Unvereinbarkeit mit der Relativitätstheorie) werden die Zuhörer nicht in die Freizeit entlassen.
Geschichte der Rundfunkwissenschaft. Sie beginnt in Deutschland zumindest unter dieser Bezeichnung mit Friedrich-Karl Roedemeyer und einem Institut in Freiburg 1939. Roedemeyer griff 1930 als Frankfurter Lektor für Vortragskunst Nietzsches Klage darüber auf, dass es in Deutschland an einem „natürlichen Boden“ für die mündliche Rede und ihre Ausbildung fehle und beklagte den Mangel an „absichtsloser Natürlichkeit“ der deutschen Radiostimmen. Seine spätere Rundfunkwissenschaft basierte ganz auf dem Erlebnis des Radiohörens. Nach WH gründet diese Freiburger Medienwissenschaft in den techno-okkulten Tendenzen, die seit Madame Blavatsky die Entwicklung der technischen Medien in Europa begleiteten und auch 1945 nicht abrupt endeten. Für die nationalsozialistischen Rundfunkwissenschaftler gipfelte die Performance des Mediums in der Formung der Volksgemeinschaft durch die Stimme des Führers. Diese Huldigung starker Medieneffekte, für die es keinen empirischen Beleg gibt, kehrte sich um in Furcht vor der Verführungskraft von Medien, von der verfassungsrichterlich imaginierten „Suggestivkraft“ des Fernsehens bis zur „Verstörung durch Vernetzung“ des Medienfeuilletonisten Pörksen. Allerdings setzte sich WH durchaus praktisch mit dem von Roedemeyer adressierten Circulus von schlechtem Sprechen und schlechtem Hören auseinander und schickte Radioanfänger mit ihren kleinen Manuskripten für Stunden zu einem erfahrenen Tonmeister ins Aufnahmestudio, um das Geschreibe sprechen und abhören zu lernen. —> Spiritismus
Helvetica. „When using Helvetica you’re never wrong, but also never right.“ Eine subliminale Spätwirkung der Mitarbeit im —> Merve Verlag ist die lebenslange Präferenz WHs für die engzeilig gesetzte Helvetica. Sie prägt auch den Satz und die schlechte Lesbarkeit der meisten Merve-Verlagsprodukte. In den Jahren der Gefangenschaft im walled garden Redmonds meinte WH bei der zumindest auf Papier durch und durch lesefeindlichen Arial Zuflucht nehmen zu müssen, die bislang am sinnvollsten zur Beschriftung von Inflationsgeld (in Zimbabwe) eingesetzt wurde. Sollte er sich gefragt haben, warum seinen Manuskripten seit 2013 mit graduell größerer Aufmerksamkeit und Sympathie begegnet wird, bietet sich die Abkehr von der Arial als Antwort an. Immerhin, es war nicht die Schriftart des Kinderschänders Eric Gill.
Impuls Verlag. Bremer Verlagsinstitut, dem Wunsch eher verbunden als der Ökonomie, und dabei so dionysisch ausgerichtet, dass die Großbuchstaben seiner Publikationen meist einen Punkt über der Grundlinie schwebten. —> Römer —> Jimmy
Jimmy. Resident DJ im —> Römer —> Vier —> Impuls Verlag.
Kleve. Niederrheinische Kleinstadt, an deren Gymnasium 1966 bis 1968 keine Schülerrevolten stattfanden, sondern Kammermusik betrieben wurde, mit WH an der zweiten(!) Geige(!). „Die Mysterien beginnen am Hauptbahnhof“ – diesen Satz kann der Klever Spiritist Josef Beuys nicht auf seine Heimatstadt gemünzt haben, denn sie hat keinen Hauptbahnhof. Bis in die 1970er Jahre hinein war Kleve bekannt für die Schuhfabrikation in vielen kleinen Fabriken und Manufakturen. Als WH ein Kind war, trugen Gleichaltrige in ganz West-Deutschland Elefantenschuhe aus Kleve. Zu seinem mütterlichen Erbe gehörte die Schuhfabrik Bernhard Rave/Wilhelm Rogmann. Mit dem demographischen Wandel („Pillenknick“) war dann die Ära der „Kleefer Schüsterkes“ zuende.
Lamprecht. Helmut Lamprecht war einer der einflussreichen Intellektuellen, die in den Kulturprogrammen des westdeutschen Radios wirkten, ein Brückenkopf der Kritischen Theorie im universitätslosen Bremen vor 1970. Für WH war er ein Gesprächspartner und in Radiodingen Mentor und Ermöglicher.
Merve Verlag. WH arbeitete in der Sponti-Phase des Verlages mit, als er noch A5-Heftchen mit dem Serientitel „Internationale Marxistische Diskussion“ und gelegentlich großformatige Sonderpublikationen verbreitete. Zu diesen gehörte das 1982 erschienene sogenannte Bangkok-Projekt mit dem Titel „Über das Nomadische“ (IMD 106). Darin findet sich der Beitrag von —> Leo G. Wahnfangg: Wie Nomaden reisen. „Weiter treibt, rennt und rast, wen kein Staat bindet.“ —> Helvetica
Nim. Die Macht der Algorithmen ließ WH bereits in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre abendliche Besucher spüren, indem er ihnen die Daumenschrauben des Minimax-Algorithmus ansetzte – in Gestalt einer mit —> Turbo-Pascal nachprogrammierten Version von Nim. Zur Entlastung der Besucher, die sich mehrfach übertölpeln lassen mussten, wurden spieltheoretische Lesefrüchte – von Neumann und Morgenstern –, sowie süße Backwaren und Beck’s Biere verabreicht.
Ontologie. Die meistgebrauchte Vorhaltung WHs gegen metaphysische Positionen in Philosophie und Medientheorie. Whitehead, Stengers, Prigogine, Deleuze, Latour, Haraway und auch die Vertreter einer technologischen Wesensschau, einschließlich neuerer praxeologischer Obskuranten aus der Siegener Medienwissenschaft, werden unnachsichtig als Ontologen vorgeführt. Gerade weil die moderne Physik neben dem ontologischen Status der Natur auch das von ihr bis vor 100 Jahren beanspruchte „Rationalitätskontinuum“ aufgegeben hat, muss die Rationalität von punktuellen Analysen und Interventionen immer wieder erstritten werden. Der von WH in diesem Zusammenhang gern verwendete editionsphilologische Begriff der Konjektur legt allerdings nahe, dass in ihm noch ein Rest von Sehnsucht danach existiert, der Urtext könne erschlossen werden.
Pauli. Dass der Pauli-Effekt und das Pauli-Prinzip gleichermaßen auf Wolfgang Pauli, den mit einem Nobelpreis ausgezeichneten Quantentheoretiker zurückgehen, ist eine schöne Bestätigung der These WHs über die spiritistische Fundierung der modernen Physik. —> Spiritismus —> Quantenmechanik
Quantenmechanik. WH wird nicht müde, darauf hinzuweisen, dass seit 1947/48, als Shockley den Transistor entwickelte, die industrielle Anwendung der Quantenmechanik die Welt beherrscht. Shockleys Werk „Electrons and holes in semiconductors, with applications to transistor electronics“ und natürlich auch Feynmans Ausführungen über freie Löcher, die sich in Kristallen bewegen, inspirierten ihn zum Plan eines Buchs „Das Loch“, das er seinen Lesern allerdings seit einigen Jahren schuldig bleibt.
Römer. Eine Schnittstelle von libidinöser und diskursiver Formation (Lyotard) auf Bremer Territorium. In WHs Biographie ein entspanntes Experimentierfeld zwischen SFBeat und —> Vier. Die Destruktivkraft eines geräuschempfindlichen marxistischen Kulturwissenschaftlers hätte 1982 fast die Umwandlung des Etablissements in eine muslimische Gebetsstätte bewirkt. Einige Jahre nach der erfolgreichen Abwehr dieser Attacke verlor der Ort seinen Zauber, Libido und Diskurs verflüchtigten sich, und man wünschte sich, sie hätte Erfolg gehabt.
Spiritismus. Eine frühe Entdeckung WHs, in der er möglicherweise eine der vielen Nebenbemerkungen Friedrich Kittlers aufnahm, ist die spiritistische Fundierung der Wissenschaften und Künste in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Gedankenübertragung, die Freud mit seiner Tochter und seinem Freund Ferenczi zu erwecken versuchten, geisterte noch in technischen Artikeln des Radiopioniers Manfred von Ardenne 1928 herum. Spiritistisch – darauf weist WH in einem heiteren wissenschaftshistorischen Beitrag hin – mutet auch das aktuell umlaufende „anthropische Prinzip“ in der Physik an, das in manchen Varianten mit einer „Noosphäre“ kombiniert wird, einer auf den gesamten Kosmos ausgeweiteten Wikipedia.
Turbo-Pascal. Die schönste Programmiersprache der Welt. WH bemerkte aber, dass das Diktum des Urhebers dieser Sprache, Niklaus Wirth, „that software is getting slower more rapidly than hardware becomes faster“ vor allem auch auf Anwendungen mit Pascal zutraf. Die C-Sprachen erwiesen sich als effizienter.
Universität. Es ist eine lange Eroberungsfahrt. Der Abfall von den Geisteswissenschaften wurde in einem Medium ohne schriftliche Überlieferung, im Tonstudio und am Turbo-Pascal-Editor bereits vollzogen, während andere von Politiken des Subjekts gegenüber den Materialien schwärmten, ohne auch nur eine ungefähre Vorstellung von deren Materialität zu haben. WHs never ending tour ist mit einem institutionell verankerten Lehrstuhl nicht vereinbar, sie findet auf einem mobilen Multifunktionssitz statt.
Vier. „Ich sag Bremen – du sagst Vier.“ Die erste junge Welle im öffentlich-rechtlichen Hörfunk war eine Reaktion auf die Einführung des „dualen Systems“ und mit einer Kette von Pioniertaten verbunden: Selbstfahrerstudio, Computereinsatz für die Musikauswahl, Live-Chat im Internet. Innovatoren haben es immer schwer, Freunde in den eigenen Reihen zu finden. Eine Moderatorin blickt auf die Gründungsphase zurück: „Unvergesslich die Konferenzen, in der Anfangszeit Plenum genannt. Alle mussten kommen. Dann hat der Chef eine neue Programmveränderung vorgeschlagen und sie zur Diskussion gestellt. Zwei Stunden lang sind wir gemeinsam dagegen Sturm gelaufen, mit leidenschaftlich vorgetragenen Argumenten. Danach hat der Chef beschlossen, dass sein Vorschlag ab sofort gilt und umgesetzt wird. Und damit war die Konferenz beendet.“
Wahnfangg, Leo G. Niederrheinischer Organist und Zoroastrier. Sein Hauptwerk Wie Nomaden reisen erlebte 1983 und 2001 durch Gottfried von Einem gleich zweimal eine akustisch-szenische Bearbeitung und Aufführung. Als Spätwirkung des Werks kann die zunehmende Verbreitung des mobilen Un/behaustseins im akademischen Lüneburg gelten. Sein Lebensmotto: „Die wirklichen Reisen sind solche ohne Ziel“.
Xanten. Von —> Kleve 29 Kilometer entfernt, auch schon zur Zeit des Drachentöters Siegfried, dessen Geburtsort Xanten war. Walter Seitter lässt es in seinen bei —> Merve erschienenen Vorlesungen über die politische Geographie der Nibelungen auch als möglichen Geburtsort Hagens (von Tronje) gelten. An Kleve reichten seine assoziativen Gedankenspiele 1986 nicht heran.
Zeitunglesen. … des Morgens früh. Hegels „realistischer Morgensegen“ brachte WH und den Autor dieses Alphabets zusammen.
Aus der Festschrift zu Wolfgang Hagens 70. Geburtstag: Klaut, Manuela; Pias, Claus; Schnödl, Gottfried (Hg.): Stimmen hören. Berlin: ciconia ciconia, 2020, S. 317–323
Hans Abich war ab 1961 Programmdirektor und ab 1968 Intendant von Radio Bremen, von 1973 bis 1978 Programmdirektor des Deutschen Fernsehens (heute »Das Erste«). Er war auch Filmproduzent, und die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste machte ihm zum Namensgeber eines Preises. Die Namensgebung wurde nun zurückgenommen, und auch die Historische Kommission der ARD beschäftigt sich mit Hans Abich.
Es geht um die parteipolitische Karriere des jungen Abich im NS-Staat. Die ist seit langem ebenso bekannt wie unbeachtet.
Die Wikipedia ist auch in diesem Fall keine empfehlenswerte Quelle. Sie tut kund: »Danach [nach dem Abi 1937] begann er ein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Berlin sowie der Politik und der Auslandswissenschaften an der Hochschule für Politik. 1943 absolvierte er das erste juristische Staatsexamen, 1944 arbeitete er als Referendar an einem Gericht in Salzburg.« Nicht falsch, aber relevante Tatsachen fehlen.
Lutz Hachmeister berichtet in seinem 1998 erschienenen Buch Der Gegnerforscher, in dem es um den SS-Führer Franz Alfred Six geht, über die Funktionen Abichs. In der FAZ ist zu lesen:
Der Medienforscher sagte, er selbst habe einmal versucht, mit Abich über seine Zeit im Propagandaministerium zu sprechen, dieser habe jedoch nicht darüber reden wollen oder können: »Er hat irgendwie versucht, das zu umgehen.«
So ging es meinem Vater auch. Er kannte Abich als Student der Auslandswissenschaftlichen Fakultät und musste ihn mehrfach um Bescheinigungen angehen, die Abich als »Beauftragter des Studentenführers« ausstellte. In den 1970er Jahren schrieb er einmal an Abich, weil er etwas über dessen Erinnerungen an Albrecht Haushofer erfahren wollte. Beide kannten ihn als Professor für Geopolitik an der Berliner Universität. Haushofer wurde nach dem 20. Juli 1944 verhaftet, schrieb im Zuchthaus die Moabiter Sonette und wurde wenige Tage vor Kriegsende hingerichtet. Aber Abich konnte oder wollte nichts dazu sagen, obwohl er sicher etwas wusste. Er antwortete mit einer belanglos-freundlichen Ansichtskarte.