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Oren Kessler: Palästina 1936

Ein »großer Aufstand«, wie der Untertitel es andeutet, war es gar nicht. In Palästina gab es von 1936 bis 1938 eine Serie brutaler Gewalttaten, an deren Beginn der Autor Übergriffe arabischer Täter auf jüdische Bewohner in Jaffa und anderen Orten stellt. Auch die britische Besatzungsmacht, die den massiven Zuzug jüdischer Immigranten schützte, wurde punktuell attackiert. Es gelingt Kessler jedoch nicht, einen Aufstand von Palästinensern zu zeichnen, auch wenn er es vielleicht beabsichtigt hat. Das Buch besteht aus hunderten größtenteils unverbundener und folgenloser Kurzberichte über einzelne terroristische Akte beider Seiten, Kurzbiographien einzelner handelnder Personen (Palästinenser, Juden bzw. Zionisten, Engländer), alles in wechselnder Detailtiefe. Es scheint, als hätte Kessler alles, was in Dokumenten zu finden war, einfach ins Buch gekippt.

Auf der einen Seite berichtet er von Überfällen auf jüdische Siedlungen, bei denen Dolche und Streichhölzer eingesetzt wurden, um willkürlich Bewohner zu ermorden und ihre Häuser in Brand zu stecken. Es gab allerdings auch viele Anschläge mit Schusswaffen und Bomben. Die Antwort der britischen Besatzungsmacht und auch der Juden selbst blieb nicht aus. Insgesamt wurden etwa 500 Juden getötet und rund 1000 verwundet. Die britischen Kräfte erlitten 250 Todesopfer. Bei den Arabern gab es 5000 bis 8000 Tote und über 20.000 Verwundete.

Militante Zionisten, angeführt von Wladimir »Ze’ev« Jabotinski, gingen nicht einfach in Verteidigungsstellung, sondern entfalteten selbst systematischen Terror, der so begründet wurde: »Der Araber ist kulturell rückständig, aber sein instinktiver Patriotismus ist ebenso rein und edel wie unser eigener; er lässt sich nicht kaufen, er kann lediglich von einer … force majeure gebändigt werden.« Zusätzlich machte sich eine rassistische Interpretation des Verhältnisses von Juden und Arabern breit. Die zionistische Palestine Post: »Einerseits haben sich die Kräfte der Zerstörung, die Kräfte der Wüste erhoben, und andererseits stehen fest die Kräfte der Zivilisation und des Aufbaus.« Dieses Narrativ – die Barbaren der Wüste gegen die Zivilisation – taucht auch heute immer wieder einmal auf.

Auch nach der Eindämmung der beidseitigen Überfälle ging der Terror weiter. Kessler dokumentiert immer wieder auch den jüdischen Terror. Die im folgenden Zitat erwähnte Irgun ist die militante Organisation, die mit Jabotinsky in Verbindung stand: »Eines Morgens stahlen Irgun-Männer ein Auto, das Weizmanns Bruder gehörte, fuhren in die Unterstadt Haifas und erschossen drei Araber. Ein andermal gingen sie in ein Dorf namens Biyar Ades, von dem sie glaubten, es verberge bewaffnete Banden, weil sie jedoch keine fanden, ermordeten sie vier Frauen und einen Mann in ihren Häusern und steckten die Fahne der Zionisten in den Boden, als sie abfuhren.«

Das Resultat der vereinten Anstrengungen von zionistischen Kräften und britischer Kolonialmacht war, dass zum Beginn des Zweiten Weltkriegs das politische, wirtschaftliche und soziale Beziehungsgeflecht des arabischen Palästina zerstört war. Daran konnte bei der Nakba und der Gründung des Staates Israel 1947 bis 1949 angeknüpft werden.

Interessant und lehrreich ist die längere Einleitung des Buchs, in der die Entwicklung von der Balfour-Deklaration 1917 bis zur Mitte der 1930er Jahre beschrieben wird. Die willkürliche britische Bevölkerungspolitik, die den Zustrom jüdischer Immigranten mal quotierte, mal unbegrenzt zuließ, aber die Regelungen nicht auch mit palästinensischen/arabischen Vertretern abstimmte, wird als Keimzelle letztlich aller späteren Konflikte deutlich. Vielleicht sogar gegen die Absicht des Autors Oren Kessler. Es gab allerdings auch kurze Phasen, in denen die Kolonialmacht palästinensische Stimmen berücksichtigte. Im britischen Unterhaus sagte ein Abgeordneter sogar einmal: »Der ehrenwerte und galante Gentleman dürfte mir kaum widersprechen, wenn ich sagte, dass die meisten Juden tatsächlich ganz Palästina wollen oder, als Alternative, die bestehende Bevölkerung auf die Stellung der Hethiter in der Bibel reduzieren, nämlich zu ›Holzfällern und Wasserträgern‹.« Premierminister MacDonald erklärte 1931 hingegen die unbeschränkte jüdische Ansiedlung in Palästina zum Hauptziel des britischen »Mandats«. Ein einziges Chaos.

Ein unerwartetes und bemerkenswertes Detail soll nicht unerwähnt bleiben: In den von Kessler fokussierten Jahren 1936 bis 1938 eröffnete eine zionistische Jugendbewegung eine Marineakademie im faschistischen Italien. Ihre Kadetten sammelten Metallschrott für die italienische Rüstungsindustrie und marschierten aus Solidarität bei der italienischen Invasion in Abessinien mit. Als bei einer Ausbildungsfahrt ein jüdischer Kadett ums Leben kam, veranstalteten seine Kameraden eine Seebestattung und ehrten den Toten mit dem faschistischen Gruß.

Unter aktuellen Aspekten auch interessant ist, dass schon in den 1930er Jahren der Aufbau eines schlagkräftigen jüdischen Geheimdienstes begann, der die palästinensischen Communities infiltrierte und potentielle Aufständische bzw. Aktivisten identifizierte.

Das Buch ist zwar in einem journalistischen Stil verfasst, aber hat keine Form, sondern reiht Ereignis an Ereignis, Person an Person. Das ist ungenießbar, abgesehen von den Berichten über viel grausames Geschehen und die unfassbar inhumane Kolonialpolitik.

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Oren Kessler: Palästina 1936. Der Große Aufstand und die Wurzeln des Nahostkonflikts. München: Hanser, 2025.