Autor: hero

  • Kunst-Imitation

    [An einen Künstler, der unter seinem Namen Bilder ausstellt, die er mit Text-Prompts durch Stable Diffusion hat generieren lassen]

    Wer sich mit KI-Geschichte und KI-Geschichten beschäftigt – eine empfehlenswerte Lektüre ist zum Beispiel der KI-Atlas von Kate Crawford – kann nicht umhin, den Kopf zu schütteln. Ich finde einfach, dass diese Hervorbringungen, denen Du Deinen Namen verleihst, Dir und Deinem Werk nicht würdig sind. Die angewendete Software ist nicht mit Techniken oder Werkzeugen vergleichbar, die sonst in der Kunstproduktion eingesetzt werden. Die KI wird im Grunde nicht „angewendet“, sondern ihr wird die Produktion eines Bildes zu 100% überlassen. Allenfalls könnte durch das Spannungsverhältnis zwischen textlichem Prompt und resultierendem Bild eine interessante Rückbindung an den Auftraggeber (Künstlerin/Künstler) entstehen. Aber dieses Prompt unterdrückst Du, weil das Bild „für sich“ stehen soll. Dass eine Software aus vielen Millionen gespeicherter Bildelemente etwas zusammensetzt, das einem künstlerischen Bild ähnelt, finde ich jedoch nicht interessant – jenseits des informatischen Aspekts.

    Jeder beliebige Mensch, dem ein paar Wörter einfallen, kann solche Bilder generieren lassen. Ich habe das selbst durchprobiert, allerdings immer nur mit spaßhaften und ironischen Anweisungen, die dann irgendwelche Bilder mit Möpsen, Bunkern, Nordseeküsten und eintürmigen Bremer Domen ergaben. Diese Form des Einsatzes von KI, dass also jemand per Software komplette Bilder erstellen lässt, hat den Namen Kunst nicht verdient. Das Gegenmodell: John Cage ließ beispielsweise Fliegen auf ein weißes Blatt Papier kacken, zog anschließend Notenlinien auf dem Blatt und generierte so ein Musikstück. Das Kriterium ist für mich: Hat jemand das Konzept für den Prozess und das Resultat in der Hand oder nicht.

    NB: Schön ist in diesem Zusammenhang eine Erzählung von Stanisław Lem aus dem Jahr 1965. Trul will einen Poesie-Automaten bauen und kommt bald darauf, dass er die gesamte Geschichte des Universums rekonstruieren muss, damit der Automat auch die tiefsitzenden Erfahrungen der Menschheit berücksichtigen kann. Dennoch ist der erste Versuch dürftig und lächerlich (und erinnert ein wenig an die heutigen KI-Bilder): „Alle meine Fröschlein schwimmen auf dem Schnee.“ Nach einigen Korrekturen am Automaten erzeugt der dann Gedichte traditioneller Stilrichtungen zu beliebigen Prompts (wie die Anweisungen heute genannt werden). Avantgardistisch gestimmten Kritikern gefiel der Stil nicht, aber siehe da: „Die Maschine war jedoch selbstprogrammierend und erfolgte obendrein über spezielle Ehrgeizverstärker mit ruhmsuchenden Stromkreisen, und daher vollzog sich bald eine tiefgreifende Änderung.“ Die Maschine übernimmt dann sozusagen die gesamte Poesie-Produktion des Universums. – Niemand kommt übrigens auf die Idee, Trul als Urheber der Gedichte zu bezeichnen.


    Kate Crawford. Atlas der KI. Die materielle Wahrheit hinter den neuen Datenimperien. München: Beck, 2024.

    Stanisław Lem: Die Reise Eins A oder Truls Elektrobarde. In: Kyberiade. Frankfurt am Main: Insel, 1983, 47–62.

  • Im Deutschen nicht angekommen

    Liebe Lektorinnen,

    ich habe mich durch die ersten 75 Seiten von Matteo Pasquinellis Buch Das Auge des Meisters gequält und wechsle nun zur englischsprachigen Version des Buchs. Im Impressum steht: „aus dem Englischen von Karina Hermes“. Leider ist Hermes dann nicht im Deutschen angekommen.

    Es handelt sich hier um eine Rohübertragung des englischen Textes, die voller Fehler und sprachlicher Schrägheiten ist, abgesehen von der offenkundigen Unkenntnis des benötigten Fachvokabulars. Natürlich muss ich auch das Lektorat (gab es eins?) kritisieren, das nicht einmal grobe sprachliche Schnitzer korrigiert hat und einen „Frederick Pollock“ durchgehen lässt, nur weil Pasquinelli aus der englischen Übersetzung von Friedrich Pollocks Buch über Automation zitiert.

    Ausgestiegen bin ich endgültig bei diesem Satz:

    „Eine fundamentale Theorie der automatisierten Berechnung stammt von Babbages Anwendung seiner Prinzipien zur Arbeitskalkulation auf die Aufteilung mentaler Arbeit.“ [75]

    Abgesehen von den unbeholfenen Formulierungen wie „stammt von“ für came from und der sich daraus ergebenden Satzkonstruktion:

    • fundamental ist nicht immer „fundamental“,
    • theory nicht immer „Theorie“,
    • calculation nicht immer „Berechnung“
    • und vor allem ist mental nicht „mental“, sondern hier geht es um geistige Arbeit.

    Ich finde auf jeder Seite mehrere Sätze mit echten Fehlern, über das durchgängige „Denglisch“ hinaus.

    So sehr ich mich darüber gefreut habe, dass Sie das Buch herausgebracht haben, so sehr bin ich nun doch enttäuscht, es niemandem in dieser Version empfehlen zu können.

    NB (nicht in der Mail erwähnt): Die Übersetzerin ist nicht auf die Idee gekommen, die vielen Zitate aus bereits in deutscher Sprache vorliegenden Texten in den übersetzten Fassungen zu suchen und in ihren Text einzubauen. Ihre eigenen Übersetzungen sind dann zum Teil richtig skurril. Der Verlag tut mir leid.


    Matteo Pasquinelli: Das Auge des Meisters. Eine Sozialgeschichte Künstlicher Intelligenz. Münster: Unrast Verlag, Juli 2024.

    Originalausgabe: The Eye of the Master. A Social History of Artificial Intelligence. London, New York: Verso, 2023.

  • Photos mit Nimbus

    Eine Ausstellungs-Ankündigung mit einem sehr dunkelgrauen Photo, das ein Stück Kathedralenwand mit Säulen, Stützen und Engel auf Podest zeigt. Auf der Einladung die Bemerkung, den Photos dieses Künstlers wohne eine besondere Aura inne …

    Photographien mit „Aura“, das ist bei strenger Lektüre von Walter Benjamin erstmal eine abenteuerliche Behauptung. Denn gerade an Photos begründet er den Verlust der Aura von Kunstwerken. Spätere Interpreten sehen allerdings durchaus Chancen für die „einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag“ und das unwillkürliche Wachrufen von Erinnerungsmomenten auch durch Photos – die ja nie unbearbeitet sind, nie „Knips-Realität“.

    Interessant für mich ist jedenfalls, dass Benjamin die Aura und den „Chock“ mit Epilepsie in Verbindung bringt – und in diesem Zusammenhang kennen wir ja Auren (auch bei Migräne) als somatische Erlebnisse. Er schreibt

    Die Bedeutung des Stückes »Perte d’auréole« kann nicht überschätzt werden. Es ist zunächst darin von außerordentlicher Pertinenz, daß es die Bedrohung der Aura durch das Chockerlebnis zur Geltung bringt. (Vielleicht kann dies Verhältnis durch Hinweis auf die der Epilepsie geltenden Metaphern geklärt werden.) Außerordentlich durchschlagend ist weiter der Schluß, der die Schaustellung der Aura weiterhin zu einer Angelegenheit von Poeten fünften Ranges macht. –

    Im Prosagedicht »Perte d’auréole« von Baudelaire geht es darum, dass ein Dichter angesichts des heftigen Verkehrs an einer Straßenkreuzung so schockiert ist („in diesem bewegten Chaos, wo der Tod von allen Seiten auf einmal im Galopp auf uns zustürmt“), dass ihm die „Aureole“ vom Kopf fällt. Danach erkennt ihn kaum noch jemand als Dichter, nur noch ein enger Freund. Das weitere Schicksal der Aureole stelle er sich so vor:

    Und dann habe ich Freude an dem Gedanken, daß irgendein schlechter Dichter sie aufheben und keinen Anstand nehmen wird, sich mit ihr herauszuputzen. Einen Glücklichen machen! darüber geht mir nichts! Und vor allem einen Glücklichen, über den ich lache!

  • Keine Kunst?

    Prompt: Bunker mit Öffnung in die Natur, Ottos Mops, Caspar David Friedrichs Wanderer,
    Bremer Dom. Bildgenerator: Canva.

    Von Friedrich hat Canva offenbar die Rückenansicht des erbärmlichen Mopses und die historische Gestalt der (leeren) Landschaft übernommen. Den Bremer Dom bildet bislang keine KI einigermaßen ordentlich ab.

    Aber darum geht es mir gar nicht. Mir geht es um den Kunstcharakter des Bildes, und das unter verschiedenen Aspekten.

    Darf ich und sollte ich unter Berufung auf Josef Beuys und seinen erweiterten Kunstbegriff dieses Bild als Kunst und mich selbst als Künstler ausgeben? Ich kann ja eine Signatur hineinkopieren, einen hochwertigen Ausdruck machen lassen und den Kunstmarkt damit bereichern.

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  • Shades of Terror

    Dieses Buch Dostojewskijs, dessen frühere Übersetzungen meist »Die Dämonen« getitelt waren, las ich jetzt zum ersten Mal. Es ist wider Erwarten eine sehr erheiternde Lektüre.

    Der Text erschien 1871/72 zuerst in Fortsetzungen in einer Zeitschrift. Dostojewskij war zu der Zeit 50 Jahre alt. Er war als Spielsüchtiger hoch verschuldet, litt zudem an Epilepsie, lag in einem ständigen Kampf – vor allem mit sich selbst – um seinen Glauben und allgemein um Religiosität. Dabei versuchte er unentwegt, das »Russische« gegen die westliche Zivilisation und Kultur profilieren. Dennoch ist die Darstellungsweise des Romans über weite Strecken entspannt, distanziert, ironisch. Eine der Hauptfiguren, der seit Jahrzehnten von einer reichen Witwe ausgehaltene gescheiterte Schriftsteller und Dozent Stepan Trofinowitsch Werchowenskij, ist ein emotional und mental instabiler Hypochonder. Der Sohn der Witwe und Mäzenin, Nikolaj Wsewolodowitsch Stawrogin ist eine mindestens ebenso unausgeglichene Natur, zwischen Clownerie und Verzweiflung schwankend, extrem liberal auch in seiner Lebensführung, partiell Mitwirkender in revolutionären Zirkeln. Er kämpft um seinen Gottesglauben, übrigens nicht besonders überzeugend – hier kann der selbst an seinem Glauben zweifelnde Autor offenbar nicht über seinen Schatten springen. Die dritte männliche Hauptfigur ist der Sohn Werchowenskijs, Pjotr. Er ist der Organisator einer revolutionären Terrorzelle, die durch Brandstiftung und Mord einen Aufstand der Landbevölkerung initiieren will, ein durchtriebenes, gewalttätiges Chamäleon. Er verursacht schließlich Morde und Selbstmord in den eigenen Reihen; der Kampf gegen »Verräter« hat Vorrang vor den revolutionären Zielen. Dass die revolutionäre Bewegung, der diese Terrorzelle angehört, etwas mit der »Internationale« von Marx und Engels zu tun haben soll, deutet Dostojewskij zwar an, konkretisiert das jedoch nicht und scheint in dieser Hinsicht auch nicht sonderlich beschlagen oder interessiert zu sein. Ich konnte mich bei der Lektüre der Assoziation an deutsche K-Gruppen in den 1970er Jahren nicht erwehren. Das diktatorische Durchsetzen der »richtigen Linie« um jeden Preis, das Dostojewskij schildert, prägte und beschädigte auch deren Mitglieder (auch wenn es wohl nicht bis zum Mord getrieben wurde).

    Drei Frauen stechen im Roman hervor: Die reiche aristokratische und herrschsüchtige Witwe Warwara Petrowna Stawrogina, die sich im ständigen Konflikt mit dem von ihr gepäppelten und auch bewunderten Intellektuellen Werchowenskij befindet, versucht bis zuletzt die Zügel in der Hand und die moralische Ordnung in ihrer Provinzgesellschaft aufrecht zu halten. Lisa, die schöne und kluge Tochter einer Generalswitwe, wird zum Spielball der Lügen und Intrigen, an denen aktiv Stawrogin und der junge Werchowenskij beteiligt sind. Eine von den Müttern erwünschte Heirat mit Stawrogin kann nicht zustande kommen, weil dieser sich vor Jahren bereits aus einer Laune heraus mit einer gehbehinderten und psychisch kranken Frau verheiratet hatte. Darja Pawlowna Schatowa, Tochter eines Leibeigenen und Zögling von Warwara Stawrogina, ist ebenfalls nur eine Spielfigur. Ihre von Stawrogina eingefädelte Ehe mit dem mehr als doppelt so alten Werchowenskij kommt wegen der moralischen Implikationen der Intrigen und Verwicklungen nicht zustande. Eine vierte weibliche Figur kommt erst später ins Spiel, Julija Michajlowna von Lembke, die Gattin des neuen Gouverneurs und eigentliche Fädenzieherin des politisch-gesellschaftlichen Geschehens in der Provinz, die deshalb auch von Pjotr Werchowenski in sein grausames Intrigenspiel eingebaut wird.

    Der Roman ist ein schönes Beispiel für eine inkonsequente Erzählerposition. Hauptsächlich gibt es einen Ich-Erzähler, ein Freund des alten Werchowenski, der bei ihm täglich ein- und ausgeht. Er figuriert intra-diegetisch, greift also selbst hier und da in das erzählte Geschehen ein und gibt den Lesern gelegentlich auch Hinweise auf seine Erzählerrolle, indem er bei manchen Informationen explizit »vorgreift« oder sie in der Erzählordnung »verschiebt«. Es gibt aber auch einen Erzähler in der dritten Person, der in erlebter Rede allwissend darstellt, was der bei dem bestreffenden Geschehen nicht anwesende Chronist nicht miterlebt haben kann. Den Wechsel zwischen intra- und extra-diegetischem Erzähler vollzieht Dostojewskij ganz flüssig und fast unauffällig. Eine Identifikation mit irgendeiner der Romanfiguren ist schlechthin nicht möglich.

    Etwas enttäuschend sind die Schlusspassagen. Die meisten Hauptfiguren werden durch verschiedene Todesarten kurzerhand abgeräumt. Ihr Bleiben wäre angesichts der kriminellen und moralisch unerträglichen Vorfälle schlecht begründbar gewesen. Unerträglich, so deutet Dostojewskij zumindest an, sind ohnehin die gesellschaftlichen Verhältnisse jener Jahre in Russland. Die Witwe Stawrogina setzt allerdings aufs Überleben, bloß nicht in ihrer Heimat, sie emigriert mit ihrer Pflegetochter in die Schweiz.

    Die Übersetzung von Swetlana Geier verwendet ein modernes Deutsch und ermöglicht – ohne »glatt« zu wirken – das Eintauchen in den Strom des dargestellten Geschehens bei gleichzeitiger Distanz.


    Fjodor Dostojewskij: Böse Geister. Aus dem Russischen von Swetlana Geier. Frankfurt am Main: Fischer, 2021.