Hat sich schon jemand nach dem Lesen eines Ihrer Werke das Leben genommen?
MÜLLER: Nicht nach dem Lesen. Aber nach dem Ansehen einer Aufführung des Stückes ›Der Auftrag‹ in Lyon hat sich ein französischer Theaterkritiker umgebracht, angeblich am selben Abend. Allerdings hatte er sich gerade von seiner Frau getrennt, außerdem war er Kommunist. Das kann eine Rolle spielen.
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Warum sagen Sie so selten die Wahrheit?
MÜLLER: Weil man zur Wahrheit die meiste Phantasie braucht. Ich bin ja kein Dokumentarist. Was ich schreibe, ist immer Dichtung und Wahrheit, eine Mischung aus Dokument und Fiktion. Ich erlebe etwas und bringe es auf eine poetische Formel, um eine Distanz zu schaffen. Wenn ich das später lese, ist es für mich wie der Text eines Toten.
– Aus der großartigen Sammlung von Interviews und Texten André Müllers. Das Interview mit Heiner Müller erschien am 14. August 1987 unter der Überschrift »Dichter müssen dumm sein« in der ZEIT.
Ufos oder, in neuerer Nomenklatur, UAP (Unidentified Aerial Phenomena), sind typische Sommerloch-Phänomene. Meist werden sie als Sinnestäuschungen, Luftspiegelungen o. ä. abgetan. Dabei gibt es eine überzeugende Theorie, die ursprünglich Charles Hinton, einer der Schwiegersöhne von Mary Boole, ab 1886 in seinen Scientific Romances entwickelte. Es könnte sich um vierdimensionale Wesen oder Objekte handeln, die als Projektionen in unserer dreidimensionalen Wahrnehmungswelt erscheinen. Mircea Cǎrtǎrescu fasst Hintons Erläuterungen mit dem Beispiel einer vierdimensionalen Gabel zusammen:
Mircea Cǎrtǎrescu: Solenoid. Wien: Zsolnay, 2019, 495.
Geboren 1874 in Odessa, wusste Georgi Rosenblum lange nicht, wer sein Vater war, und auch nicht, dass er eigentlich den Vornamen Sigmund erhalten hatte. Auch die Tatsache, dass sein Vater jüdische Wurzeln hatte, machte ihm angeblich zu schaffen. Seine Biographie Ace of Spies schrieb Robin Bruce Lockhart (1920–2008). Dieser konnte sich dabei auf die Erinnerungen und Berichte seines Vaters Robert Hamilton Bruce Lockhart (1887–1970) stützen. In einer schon 1932 erschienenen Autobiographie Memoirs of a British Agent hatte der ältere Lockhart bereits Details aus der Zusammenarbeit mit Rosenblum kurz nach der Oktoberrevolution erzählt. Er kannte ihn allerdings unter seinem nom de guerre Sidney Reilly.
Beide, Lockhart und Reilly, waren große Womanizer. Lockhart gefährdete seine Karriere als britischer Agent mehrfach durch seine Affären. Die spektakulärste war wohl die mit Moura von Benckendorff , die neben einigen Ehen auch Beziehungen mit dem durch die Oktoberrevolution 1917 gestürzten kurzfristigen russischen Ministerpräsidenten Kerenski und den Schriftstellern Maxim Gorki und H. G. Wells hatte. Mit Lockhart war sie liiert, als dieser angeblich zusammen mit Reilly 1918 einen konterrevolutionären Putsch plante (Lockhart Plot). Das von der Anarchistin Fani Kaplan am 30.08.1918 auf Lenin verübte Attentat, an dessen Folgen er 1924 starb, gehörte nicht zu ihrem Plan. Lockhart wurde für eine kurze Zeit von der Tscheka in Haft genommen und verhört, sah dort auch Fani Kaplan, die bald darauf erschossen wurde. Seine Geliebte Moura wurde länger festgehalten, ihre vielfältigen Verbindungen zu den Geheimdiensten lassen sich bei einer kurzen Recherche nicht aufklären.
Sidney Reilly hatte bereits mit Anfang Zwanzig die Welt erkundet, wobei – je nach Quelle – auch kriminelle Abenteuer eingeschlossen waren. Im Jahr 1895 lernte er in London Ethel Lilian Boole (1864–1960) kennen, die jüngste Tochter von George und Mary Boole. Sie lebte mit Michał Habdank-Wojnicz zusammen, einem polnischen sozialistischen Revolutionär und Buchhändler, der seinen Namen dann zu Wilfrid Michael Voynich anglisierte. Er war mit vielen Sozialisten bekannt, unter anderem mit Friedrich Engels und der Marx-Tochter Eleanor. Ethel und er heirateten erst 1902 offiziell. Sie benutzte den Namen Voynich allerdings schon früher, auch als Autorennamen für ihren Roman The Gadfly, der 1897 erschien. Der Name Voynich wird in westlichen Ländern vor allem mit dem seltsamen Manuskript verbunden, das Winfrid Voynich 1912 erwarb und bis heute nicht entschlüsselt wurde – falls es denn überhaupt sinnvolle Informationen enthält und nicht nur ein monströser und aufwendiger Scherz ist.
In Russland, dann in der Sowjetunion und später in der Volksrepublik China ist der Name jedoch mit Ethel Booles Roman verbunden. Es wurde in diesen Ländern ein Best- und Longseller. Dmitri Schostakowitsch schrieb 1955 die Filmmusik zu der sowjetischen Verfilmung des Stoffes.
Der Plot in einem Satz: Arthur Burton, ein englischer Journalist, gerät in den 1840er Jahren in die Wirren des italienischen Risorgimento und unterstützt mit seinen Texten die radikale Unabhängigkeitsbewegung, wird schließlich verhaftet und hingerichtet. Die Autorin hatte den Roman schon begonnen, als sie Sidney Reilly in London kennenlernte und mit ihm eine heftige Liebesaffäre einging, die sie auch auf eine gemeinsame Italienreise führte – nach Florenz, einen wichtigen Schauplatz von The Gadfly. Dass auch Erlebnisse des Abenteurers Reilly in das Buch eingegangen sind, lässt sich nicht ausschließen, gehört aber der Intimsphäre der beiden Verliebten an, die sich nach einigen Monaten wieder trennten.
Die Medienkorrespondenz berichtet, dass die Beauftragung linearer Fernsehprogramme gelockert werden soll. Spartenprogramme werden aus dem Auftrag herausgenommen und können durch Online-Angebote ersetzt werden. Ein klares Ziel scheint zu fehlen. Nun hat sogar schon der ARD-Vorsitzende Buhrow – bei DWDL – die Bedeutung der Mediatheken als zentrales zukünftiges Angebot anerkannt. Nichts läge näher, als das Erste und das ZDF-Hauptprogramm ebenfalls aus der Pflicht zu nehmen. Solange die Anstalten sich darauf berufen können, diese linearen Fossile betreiben zu »müssen«, werden sie keine entscheidenden Schritte zur Neudefinition ihres Medienangebots machen.
Die Medienpolitik hat die Chance, die Pfadabhängigkeit der Organisationsentscheidungen zu unterbrechen oder zumindest zu stören. Sie lässt sich durch allerlei PR-Talk der Sender davon abhalten. Immer wieder wird dabei zum Beispiel die Bedeutung vielfältiger Angebote hervorgehoben, die auch vom Verfassungsgericht erwünscht ist. Aus der Perspektive der Online-Welt sind zwei gemeinschaftsfinanzierte Parallelwelten, ARD und ZDF, allerdings überflüssig. »Vielfalt« kann dort nicht durch die parallele Präsenz mehrerer Marken, sondern nur durch markante Inhalte gesichert werden – also durch einen Fächer unterschiedlicher Themen, aber auch durch ihre unterschiedliche »Faltung«, also Formatierung und Präsentation. Eine Zusammenlegung der Systeme würde eine noch bessere (und finanziell effizientere) Koordination von Verschiedenartigkeit ermöglichen als das derzeitige konkurrierende Nebeneinander. Dies ist nur eine der heiligen Kühe, die von der Medienpolitik schweigend umgangen werden.
Ein zweites oft strapaziertes Argument für die zurückhaltende Unterstützung eigenständiger Online-Angebote ist das Verhältnis von linearer und non-linearer Nutzung derselben – also für das Fernsehen produzierten – Produkte. Das Argument funktioniert nach dem Muster der self-fulfilling prophecy. Solange Fernseh-Formate gesendet werden, die auf die Fernsehgewohnheiten des älteren Drittels der Bevölkerung geeicht sind, wird deren Online-Nutzung nicht die lineare Nutzung überwiegen. Ein Strategiewechsel, der Online-Produkte in den Mittelpunkt rückt, verbunden mit hilfreichen Erklärungen für bisherige Online-Abstinenzler und Showcases im verkleinerten linearen Restprogramm, hätte gute Chancen, die Verhältnisse in kurzer Zeit umzudrehen. Denn für das allgemeine Publikum sieht die Welt der Öffentlich-Rechtlichen ganz anders aus als aus deren Binnensicht. Einen guten Eindruck davon vermittelt der sogenannte ARD-Zukunftsdialog. Die aktiven Gesprächsteilnehmer dort wirken weitaus flexibler als die Vertreter der Anstalten – die in den Diskussionsforen auf innovative Ideen immer wieder mit PR für das bereits Vorhandene antworten. Ein einziges Beispiel von vielen zeigt, dass »Zukunftsdialog« eher ein Framing aus der vulgärpsychologischen Trickkiste ist als ein ernstgemeintes Angebot an die Öffentlichkeit.
Auch für Radiohörer ließe sich die Umstellung auf Angebote in interaktiven Umgebungen attraktiv machen. Apple Music hat einen großen Teil des Musik-Streaming jetzt auf »Lossless« umgestellt, also auf echte CD-Qualität. Das ließe sich ohne großen technischen Aufwand auch (zumindest) für die On-demand-Angebote der Kulturwellen kopieren. Musikalische Eigenproduktionen, Features und Hörspiele – also die Traditionsgüter des Hörfunks – könnten die Türöffner für die noch viel breitere Nutzung des öffentlich-rechtlichen Audio-Streaming sein. Man müsste es bloß wollen und der Öffentlichkeit im Dialog erklären …