Aktuelle Vergeblichkeitsforschung

  • Family Affairs (2)

    Quadratwurzeln und Engel

    When you come to quadratic equations you will be confronted with an entity (or non-entity) whose name is written this way—√ -1, and pronounced »square root of minus one.« Many people let this nonentity persuade them to foolish courses. A story is told of a man at Cambridge who was expected to be Senior Wrangler; but he got thinking about the square root of minus one as if it were a reality, till he lost his sleep and dreamed that he was the square root of minus one and could not extract himself; and he became so ill that he could not go to his examination at all. Angels, and square roots of negative quantities, and the other things that have no existence in three dimensions, do not come to us to gossip about themselves; or the place they came from; or where they are going to; or where we are going to in the far future. They are messengers from the As-Yet-Unknown; and come to tell us where we are to go next; and the shortest road to get there; and where we ought not to go just at present. When square root of minus one comes to you, behave reasonably about him. Treat him logically, exactly as if he were six or nine; only always remember to keep well in front of you the fact of your own ignorance. You may never find out any more about him than you know now; but if you treat him sensibly he will tell you plenty of truths about your x’s and y’s, and other unknown things.

    Please don’t suppose that I have always behaved sensibly to angels. I have often made serious mistakes in dealing with them. I have acted in haste and have had plenty of reason to repent at leisure. But one thing they have taught me is that we need never be afraid of angels, whether white or black, as long as we keep the laws of logic. Another thing they have shown me is that angels never really gossip. They have often pretended to gossip to me; but I have found out afterwards that they have been talking clever nonsense in order to test me and prove me; so that I might see in what an illogical state of mind I have met them.


    Mary Everest Boole: Philosophy & Fun of Algebra. London: C. W. Daniel, 1909, 77–79. [ 15: √ -1

  • Herbst der Verbrenner

    … und der deutschen Sprache.

    Ich liebe, dass wir immer in Bewegung bleiben

    heißt es in einem Audi-TV-Clip. In einigen Jahren gibt es nur noch E-Autos, und das Kauderwelsch wird niemandem mehr auffallen. Einen wesentlichen Beitrag dazu leisten schlecht übersetzte Synchrontexte von amerikanischen Serien. Gestern abend (Seriendeutsch: »Letzte Nacht«) versuchte jemand die Erzeugung von Öko-Benzin zu erklären: »Oben wirfst du Mais rein, und unten kommt dann Gas raus.«

  • Family Affairs (1)

    Mary Everest Boole (1832–1916)

    Nach dem Bruder ihres Vaters wurde der Mount Everest benannt, beim Bruder ihrer Mutter in Irland lernte sie ihren Mann kennen, George Boole. Sie war an Mathematik interessiert, und der mathematische Autodidakt Boole, Sohn eines englischen Schuhmachers, der Mathematikprofessor in Cork geworden war, wurde ihr Mentor und nach dem Tod ihres Vaters ihr Ehemann. In ihrer Kindheit lebten ihre Eltern mit ihr sechs Jahre in Frankreich, um dem Homöopathen Samuel Hahnemann nahe zu sein. Sie blieb eine Anhängerin der Homöopathie, was möglicherweise den Tod ihres Mannes bewirkte. Dieser ging im November 1864 im strömenden Regen die drei Meilen zwischen ihrem Wohnhaus und dem College zu Fuß hin und zurück und zog sich dabei eine Erkältung zu. Seine Frau wickelte ihn in feuchte Tücher ein, getreu der homöopathischen Regel, dass in den Ursachen einer Erkrankung auch das Heilmittel zu suchen ist. Die Erkältung wuchs sich zu einer Lungenentzündung aus, an der George Boole am 8. Dezember 1864 starb.

    Mary Boole zog mit ihren fünf Töchtern (die jeweils im Abstand von zwei Jahren geboren worden waren) nach England zurück, arbeitete dort als Bibliothekarin, Privatlehrerin für Mathematik und Buchautorin. Sie war Gründungsmitglied der Society for Psychical Research 1882, verließ sie aber im selben Jahr wieder. Den in dieser Vereinigung verhandelten Problemen der Hypnose, Gedankenübertragung, Mediumistik und Geistererscheinungen blieb sie allerdings eng verbunden. Im Vorwort eines 1883 erschienenen Buchs, das die Botschaft der »Seelenkunde« speziell Müttern und Krankenschwestern nahebringen wollte, benennt sie die Verunsicherung, die viele westliche Intellektuelle von Mitte des 19. Jahrhunderts bis weit ins 20. Jahrhundert hinein erfasste – auf der einen Seite Darwin, auf der anderen die Paraphysik.

    [Mary Boole: The Message of Psychic Science for Mothers and Nurses. London: Trubner & Co, 1883, ix]

  • Temps Noirs

    Meldung in der FAZ am 19.06.1953. Was stimmte daran? Eigentlich nur, dass Lou Bortz von Joseph D. Mazzei denunziert worden war. Mazzei war ein Krimineller und seit 1942 gelegentlicher FBI-Informant, der zwischen 1951 und 1956 in mehreren Gerichtsverfahren auftrat und immer Falschaussagen machte. So auch hier:

    On June 18, 1953, Mazzei testified before the Senate Permanent Subcommittee on Investigations, in Washington, D.C., that, at a meeting of the Civil Rights Congress on December 4, 1952, one Louis Bortz told him that he, Bortz, had been ‘selected by the Communist Party to do a job in the liquidation of Senator Joseph McCarthy.’ Mazzei further testified that the said Bortz conducted Communist Party classes in Pittsburgh to familiarize Party members with the handling of firearms and to instruct them in the construction of bombs.

    Ein Wortprotokoll des Verfahrens gegen Bortz findet sich auch. Bortz verweigerte konsequent Aussagen zu seiner Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei und zur politischen Aktivität anderer Personen.

    Lou Bortz war tatsächlich Kommunist, aber kein Bombenleger oder Attentäter. Er nahm am Spanischen Bürgerkrieg als Mitglied der Abraham Lincoln Brigade teil, deren Protagonisten und Kämpfe von Ernest Hemingway beschrieben wurden. Im 2. Weltkrieg war er einer von etwa 15.000 Kommunisten als Flugzeugmechaniker in der US-Armee aktiv, danach arbeitete er zunächst in Pittsburgh.

    Die Stahlmetropole Pittsburgh war ein Zentrum der amerikanischen Arbeiterbewegung. Die Gewerkschaft AFL war hier sehr stark, und kommunistische Zellen hatten einigen Einfluss. So kann nicht verwundern, dass der Kommunistenjäger Joseph McCarthy und das FBI ein Augenmerk auf die Region richteten. Ein Film von Gordon Douglas I was a Communist for the FBI unterstützt die ideologische Aufrüstung der Amerikaner.

    Er erzählt 1951 die Geschichte eines FBI-Spitzels in der Pittsburgher kommunistischen Parteiorganisation. Bei Youtube kann er in voller Länge genossen werden. –** www.youtube.com/watch?v=R8zhmCjV71w** –

    Gleich zu Beginn erhalten die örtlichen Kommunisten hohen Besuch: »Gerhardt Eisler«.

    Dieser hat direkte Verbindungen mit Moskau und liefert die Instruktionen zur Vorbereitung gewaltsamer Unruhen und fordert erhöhte Wachsamkeit auch in Bezug auf Disziplin und Verlässlichkeit in den eigenen Reihen. Der Film-Gerhardt hat nicht nur biographisch, sondern auch physiognomisch eine auffällige Ähnlichkeit mit Gerhart Eisler. Er war der Bruder des Komponisten Hanns Eisler, KPD- und Komintern-Funktionär. Unter dem Schutz der spanischen Republik leitete er von 1937 bis 1939 den Deutschen Freiheitsssender 29,8, der auf Kurzwelle ein antifaschistisches Programm für Hörer in Deutschland sendete. Zu hören waren dort unter anderem Bertolt Brecht, Albert Einstein und Ernest Hemingway. Nach der Niederschlagung der spanischen Republik und zwei Jahren in einem französischen Internierungslager gelangte 1941 Eisler in die USA, war dort als Journalist aktiv und arbeitete tatsächlich auch für den sowjetischen Geheimdienst GPU.

    [Eisler im Film von 1951]

    [Der wirkliche Eisler 1949]

    Eisler war 1946 von seiner Schwester Elfriede (sich sich Ruth Fischer nannte) als Atomspion Moskaus denunziert worden, kam nach einer Verurteilung gegen Kaution frei und konnte 1949 als blinder Passagier auf einem Frachtschiff nach Europa entkommen. In der DDR wurde er für die politische Lenkung von Presse und Rundfunk zuständig, ab 1956 erst stellvertretender Leiter, ab 1962 bis zu seinem Tod 1968 Leiter des Rundfunks der DDR. Er hielt seine Hand über die Gründung und den Betrieb des innovativen und beliebten Jugendradios DT 64, in dessen Tradition die heutigen öffentlich-rechtlichen Wellen Fritz (RBB) und Sputnik (MDR) stehen.

  • Nur Trümmer, keine Heimkehr

    Günther Anders: Tagesnotizen. Aufzeichnungen 1941–1979,
    Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006, S. 117

    Günther Anders kommt am 18. Juni 1953 zum ersten Mal nach 20-jährigem Exil wieder nach Berlin. Weder an diesem Tag noch an einem der folgenden berichtet er über das Geschehen, mit dem wir den »17. Juni« verbinden. Die Panzer in der Leipziger Straße, die bei Demonstrationen Totgeschossenen kommen nicht vor. Staunend beobachtet er, dass ein Mann in Schöneberg ungeniert und ungeschützt sein Bedürfnis auf offener Straße verrichtet.

    Mehr ist dazu überhaupt nicht zu sagen.